Nach einem halben Jahr Großstadtleben in Hamburg wohne ich jetzt in Mayen - ein Kontrast, der stärker kaum sein könnte.

Es ist 20 Uhr an einem Sonntagabend in Mayen, der bekannten Eifelstadt, in der Mario Adorf groß geworden ist. Ich habe sechs Stunden Zugfahrt hinter mir und suche nach etwas zu essen, das nicht Franzbrötchen ist, denn Franzbrötchen gibt es hier nicht. Ich stehe nun auch nicht mehr wie gestern noch vor der kontroversen Entscheidung zwischen Falafel-Stern oder -Kimo auf der Schanze sondern suche einfach irgendeinen offenen Imbiss – eine neue Form der Selbstbestimmung, mit der ich erstmal umzugehen lernen muss.

Das ist nicht die einzige Umstellung: Mit 20 Uhr wäre in Hamburg längst die Zeit eingeläutet, zu der ich draußen nicht mehr ohne mein Handy mit einem rücksichernden Anruf in der einen und meinem Pfefferspray in der anderen Hand allein unterwegs wäre. Aber hier gibt es an einem Sonntagabend überhaupt niemanden auf den Straßen, vor dem ich mich rücksichern müsste. Davon abgesehen bin ich viel zu beschäftigt damit, nach jeder Straßenbiegung erneut vor Entzücken die Hände zusammenzuschlagen: Alles von den hübschen Blumentöpfen an den pittoresken Straßenlaternen zu den zahlreichen kleinen Läden, deren Schaufenster frühlingshaft dekoriert sind, ist wie direkt aus den ersten beiden Harry-Potter-Filmen geschnitten – es gibt sogar eine Burg, die fast wie ein Schloss aussieht, was daran liegen kann, dass ich den Unterschied zwischen Burg und Schloss nicht wirklich kenne.

Ich bin jetzt jemand, der in Rheinland-Pfalz wohnt.

Zumindest für die nächsten fünf Monate. Das ist der Zeitraum, in welchem ich für mein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr Kultur) an den Burgfestspielen in Mayen hier bin. Danach geht es wieder woandershin – wohin genau, das weiß ich jetzt noch nicht.

Wie es hier ist, weiß ich auch noch nicht.

Aber ich weiß, dass ich Harry Potter schon immer sehr gut fand, die ersten beiden Teile ohnehin, und dass ich jetzt auf einer Burg arbeite, die ein bisschen wie ein Schloss aussieht, ist quasi auch ein bisschen Wiedergutmachung dafür, dass mein Brief aus Hogwarts damals verloren gegangen ist und ich stattdessen acht weitere Jahre herausfinden musste, wie viele Orangen Paul kaufen muss, wenn die Luftfeuchtigkeit doppelt so hoch ist wie die Anzahl seiner Freunde. Und ich mag zwar den pinken Glitzer, mit dem die Hülle meines Pfeffersprays dekoriert ist, aber es ist durchaus auch mal ganz angenehm, es für ein paar Monate nicht bei Anbruch der Dunkelheit griffbereit haben zu müssen.

Und es mag hier zwar keine Franzbrötchen geben, aber dafür Wein – das heißt, wenn ich Hamburg doch einmal ein bisschen zu doll vermissen sollte, muss ich dabei zumindest nicht nüchtern bleiben.

Was auch immer passiert: Ich bin gespannt auf die nächsten fünf Monate.