Roy Orbison. Dieser unscheinbare Mann mit gegeltem schwarzem Haar und der viel zu großen schwarzen Ray-Ban-Brille beeinflusste maßgeblich die Musikgeschichte des Jahrhunderts.

von Friedrich W. Dittmann

„Weißt du eigentlich, was Bruce Springsteen und ich gemeinsam haben?“. Willy, mein Kater blickte kurz von seinem roten Fressnapf mit den bunten Mäusebildern auf und meinte; „Ihr seht beide blendend aus“. Dabei grinste er, dass seine Schnurrhaare fast senkrecht standen.

„Du brauchst dir nicht einzubilden, dass ich bei dem Dreckswetter für dich zum Metzger latsche und dir frische Leber kaufe“, gab ich ihm zurück. Um seine Leber zu retten, erkundigte er sich „interessiert“ nach der Gemeinsamkeit.

Bruce und ich haben den gleichen Urknall, wie ich viele Jahre später aus einer seiner Biografien erfahren habe. Den Tag im April 1964, der das Leben vollkommen veränderte und uns nie mehr von der Musik losließ.

Ich lag damals nachts in meinem Bett und hörte über mein kleines Transistorradio im Radiosender AFN die aktuellen Billboard-Charts. Plötzlich erklang eine Stimme, wie ich sie nie gehört hatte. Drama ohne Ende. Man hatte das Gefühl, hier singt jemand bei einer Operation am offenen Herzen ohne Narkose.

"All the rainbows in the sky. Start to weep, then say goodbye. You won't be seeing rainbows any more. Setting suns before they fall, echo to you that's all. But you'll see lonely sunset after all. It's over."

Es war Roy Orbison, der „It’s over“ sang und man fühlte inständig mit. Dieser unscheinbare Mann mit gegeltem schwarzem Haar und der viel zu großen schwarzen Ray-Ban-Brille beeinflusste die Musikgeschichte des Jahrhunderts mehr als jeder andere. Mehr als die Stones und mehr als die Beatles. Was Bob Dylan für die Lyrik war, verkörperte Roy in der emotionalen Melodik. Später sangen die zwei sogar kurz zusammen bei den Traveling Wilburys.

Willy kannte natürlich „Pretty Woman“. Wer kennt das nicht? Durch den komischen Film mit Julia Roberts und Richard Gere wurde Roy mit dem Lied ein reicher Mann. That’s all.

Um Willy näherzubringen, was Roy Orbison tatsächlich ist, spielte ich ihm die 1989 nach seinem Tod erschienene LP Mystery Girl vor. Lieder wie der Titelsong "In the real world, Careless heart" oder "The only one" hinterließen einen tiefen Eindruck bei ihm.

Jedenfalls war ich am 6. Dezember 1988 stocksauer, als Roy viel zu früh einen Herztod erlitt. Für alle, die ihn kannten, war und bleibt er für immer der unsterbliche Caruso des Rock. Oder um mit einem Zitat aus dem Communards Film zu sprechen: Seit Roy Orbison tot ist, ist sowieso alles Scheiße.

Sollte da draußen noch einer den Hauch eines Zweifels an der Richtigkeit der Aussage haben, sollte er sich auf YouTube das Video zu "I drove all night" reinziehen.

Gewidmet meinem Freund Harald Schmidt