Und es begab sich zu der Zeit . . . So fängt die Weihnachtsgeschichte an. Wir erinnern uns an Maria und Josef, die in Bethlehem keine Unterkunft haben und in einem Stall Unterschlupf finden. Zwei Obdachlose auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf. Eine alte Geschichte? Von wegen. Auch heute leben Menschen auf der Straße - selbst in unserer Stadt. Wieviel Bethlehem steckt in Koblenz? Zeit für eine weihnachtliche Bilanz!

von Dirk Hoeren

Sie sitzen in Hauseingängen, in der Fußgängerzone am Altlöhrtor oder am Hauptbahnhof. Bei Wind und Wetter. Nur mit Schlafsack. Ihr Hab und Gut ist in Einkaufstüten verpackt. Passanten hasten vorbei. Ab und zu gibt einer Mal einen Euro. So ist die Situation der Obdachlosen in Koblenz. Insgesamt 480 Kontakte von Betroffenen bei Sozialeinrichtungen, Hilfevereinen und zur Stadt hat die Verwaltung in diesem Jahr gezählt, 50 mehr als im Vorjahr. Mit einem Wohnungslosenmonitoring führt sie Buch über diejenigen, die an Rhein und Mosel kein Dach über dem Kopf haben. Danach sind fast drei Viertel der Berber männlich, gut ein Viertel Frauen. Zwei Drittel (66,6 Prozent) sind älter als 35 Jahre. 68,3 Prozent sind Deutsche, der Rest Ausländer, 15 Prozent stammen aus einem Staat außerhalb der EU.

Aber wo kommen die Betroffenen nachts unter? Gut ein Drittel (38,5 Prozent) finden ab und zu Unterschlupf bei Freunden oder Verwandten. Auf der „Platte“ - also draußen - leben tatsächlich 14,4 Prozent. Manche nutzen zum Zelten das Freigelände hinter der Herz-Jesu-Kirche, das von der Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt wird. Etwa jeder Zehnte kommt in den Notunterkünften der Stadt oder von sozialen Einrichtungen unter.

Und davon gibt es nach Ansicht der Stadt genug. Nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz hat jeder Obdachlose Anspruch auf eine Unterkunft - tags und nachts. Es gebe „derzeit keine Kapazitätsprobleme“ bei Notunterkünften, stellt die Verwaltung in ihrem Bericht fest. So stehen z.B. bis zu 27 Plätze in der Notunterkunft am Luisenturm auf dem Asterstein mit vier Wohneinheiten und je drei Zimmern bereit. In der Notunterkunft in der Fritz-Michel-Straße in Neuendorf kommen bis zu 13 Personen unter. Sie ist vor allem für Alleinerziehende oder Paare mit Kindern vorgesehen. Im Städtischen Übernachtungsheim der Arbeiterwohlfahrt können bis zu 20 Männer und acht Frauen Unterschlupf finden. Aber sie müssen ihre letzte Melde-Adresse in Koblenz gehabt haben. Im Notfall stellt die Stadt den Obdachlosen sogar Hotelzimmer zur Verfügung.

Zusätzlich gibt es Aufenthaltsräume, die nur tagsüber genutzt werden können: Bei der Caritas in der Neustadt und im Wohnungslosen-Restaurant „Mampf“ in Lützel, das vom Verein „Die Schachtel“ getragen wird. Die Mitarbeiter fahren im Winter auch nachts mit dem Kältebus durch die Stadt, verteilen warme Getränke, Decken und Schlafsäcke. Helden des Alltags!

Warum so viele trotz der warmen Übernachtungsmöglichkeiten lieber auf der „Platte“ übernachten hat einen einfachen Grund: In den angebotenen Unterkünften gilt Rauch- und Alkoholverbot. Zudem dürfen sie keine Haustiere mitbringen. Da viele Obdachlose mit Hund unterwegs sind, müssten sie die Vierbeiner ins Tierheim bringen. Das wollen sie nicht oder sie haben keine Möglichkeit, den Weg dorthin zu bewältigen.

Wenn es nach den Streetworkern oder Sozialeinrichtungen geht, müsste die Stadt mehr für die Obdachlosen tun. Die Unterkünfte müssten renoviert oder neue gebaut werden. Zusätzliches Personal wäre nötig. Aber dafür fehlt mal wieder das Geld. „Eine auskömmliche Finanzierung der bestehenden Hilfeangebote kann derzeit nur durch Spendenakquise und ehrenamtliches Engagement bewerkstelligt werden“, heißt es bei der Stadt. Aus dem Koblenzer Haushalt können nicht mehr Mittel losgeeist werden, weil es sich um freiwillige Leistungen handeln würde. Aber die darf sich Koblenz wegen der chronischen Finanznot nicht aufhalsen.

Dabei schafft sich die Stadt die Probleme mit den Wohnungslosen zum Teil selbst. Schließlich hat die Koblenzer Wohnungsbaugesellschaft - eine 100prozentige Tochterfirma der Stadt - im vergangenen Jahr in 85 Fällen Mietern fristlos gekündigt. Außerdem hat sie 14 Räumungsklagen angestrengt und zwei Zwangsräumungen veranlasst. Neun weitere Mieter verließen ihre städtischen Wohnungen vor der bereits angekündigten Zwangsräumung. Meist ging es um ausstehende Mietzahlungen. Immerhin wurden in 80 Fällen Ratenzahlungen mit säumigen Mietern vereinbart. Vielleicht gäbe es weniger Obdachlose in Koblenz, wenn die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft noch mehr Rücksicht nehmen würde . . .

So bleibt die Hilfe für die Bedürftigen vor allem am den freiwilligen Helfern und Spendern hängen. Und die sind auch an Heiligabend aktiv. Da gibt es traditionell eine Feier mit Kuchen, warmen Getränken, Essen und Weihnachtsliedern für die Alleingebliebenen und Obdachlosen im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium. Seit 1969 organisieren die Caritas, die evangelische und die katholische Kirchengemeinde diesen besondere Weihnachtsabend.

Früher fand die Feier im Evangelischen Gemeindezentrum am Moselring statt. Ich erinnere mich, wie ich dort in den 80er Jahren den Obdachlosen als Helfer Kaffee, Kuchen und Essen an den Tischen serviert habe. Es war ein gutes Gefühl, an Heiligabend etwas für die besonders Bedürftigen getan zu haben. Aber ich hatte auf dem Heimweg auch jedesmal ein schlechtes Gewissen. Ich wusste, ich komme jetzt nach Hause und feiere mit der Familie im Warmen unter dem Weihnachtsbaum - und die anderen müssen zurück auf die Straße . . .