Die Krise hat viele Gesichter und die Anforderungen an den Sport waren und sind immens. Wie Fußballspielen wieder möglich wurde, etwa in der Bundesliga, hing von einem klugen Konzept ab, das als Grundvoraussetzung die Wahrung der Rahmenbedingungen vorsah, die von der Politik in der Pandemie vorgegeben waren.
Längst ist auch der Amateurspielbetrieb wieder im Gange und auch hier hat sich einiges verändert. aktuell4u sprach dazu mit Norbert Weise. Der Jurist und ehemalige Generalstaatsanwalt des Landes sowie früher als Fußballer und Schiedsrichter aktiv, ist seit vielen Jahren ehrenamtlich als Rechtswart im Präsidium des Fußballverbandes Rheinland (FVR) tätig. Er war Geschäftsführer in einem Dorfverein, stellvertretender Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses und er ist bis heute Beisitzer im DFB-Schiedsgericht.
A4u: Im März 2020 beschloss der Verband, den Spielbetrieb ruhen zu lassen. Im Mai kam die Entscheidung einer vorzeitigen Beendigung der Spielzeit. War das die kritischste Zeit, die Sie im Verband bisher erlebt haben?
NW: Ja, das kann man so sehen. Wir standen damals vor der schwierigen Frage: Saison unterbrechen und vielleicht irgendwann fortsetzen, oder sofort abbrechen, aber mit Wertung. Wir waren dann der erste Landesverband, der sich im April für die Abbruchlösung entschieden hat. Ganz einfach deshalb, weil wir den Vereinen Klarheit und damit Planungssicherheit geben und sie unbelastet von der unterbrochenen Spielzeit in die nächste Saison gehen lassen wollten. Dabei haben wir die Vereine von Anfang an mitgenommen. In zahlreichen Videokonferenzen, in unzähligen Gesprächen und schließlich in einer Umfrage zu ihrer Auffassung. All das hat schließlich im Mai zu der bekannten Lösung mit Aufstiegsregelung und ohne Absteiger geführt. Im Rückblick eine gute und richtige Entscheidung, damals aber eine unglaublich schwierige Situation.
A4u: Nach dem Abbruch war die Abstiegsreglung wohl der einfachere Teil. In der Frage des Aufstiegs gab es natürlich auch Härtefälle. Wie ist das Verhalten der betroffenen Vereine in dieser komplizierten Phase zu bewerten?
NW: Da es keine Absteiger geben sollte, musste die Zahl der Aufsteiger auf den jeweiligen Tabellenersten reduziert werden, um die einzelnen Staffeln nicht zu stark aufstocken zu müssen. Schließlich sollen sie ja später wieder auf Normalgröße zurückgeführt werden. Wie nicht anders zu erwarten, gab es bei der Ermittlung des Tabellenersten als alleinigem Kriterium einige Härtefällen dadurch, dass nicht alle Vereine zum Zeitpunkt der Unterbrechung des Spielbetriebes dieselbe Anzahl von Spielen absolviert hatten. Um die Mannschaft mit weniger Spielen nicht zu benachteiligen, wurde in diesen Fällen der Tabellenerste über einen Quotienten aus Anzahl der Spiele und den dabei gesammelten Punkten ermittelt. Dabei hat gelegentlich die 2. Stelle hinter dem Komma den Ausschlag über Aufstieg und Nicht-Aufstieg gegeben. Verständlich, dass der denkbar knapp unterlegene Verein enttäuscht war, zumal dann, wenn er sich mit Blick auf das ausgefallene Restprogramm große Chancen auf den Staffelsieg ausgerechnet hatte. Letztlich haben in den 63 Senioren-Staffeln auf Kreisebene fünf Vereine Beschwerde gegen ihre Nichtberücksichtigung als Aufsteiger eingelegt, die aber nur in einem Fall erfolgreich war. Andere betroffene Vereine haben die knappe Entscheidung akzeptiert, wenn vielleicht auch nicht mit Überzeugung. In mehreren Gesprächen mit betroffenen Vereinen habe ich aber bei aller Enttäuschung über das Ergebnis auch großes Verständnis für die getroffenen Entscheidungen festgestellt.
A4u: Gibt es aus der Pandemie und den Folgen für den Fußball getroffene Entscheidungen, die durchaus positiv für die künftige Entwicklung sein könnten?
NW: Zunächst: Wie überall, hat die Pandemie auch im Fußball Schwachstellen aufgedeckt oder deutlicher zutage treten lassen, insbesondere im bezahlten Fußball. Ob daraus für die Zukunft die richtigen Lehren gezogen werden, bleibt abzuwarten. Zweifel sind angebracht. Aber die Krise hat auch positive Erscheinungsformen des Fußballs wieder deutlicher werden lassen, etwa das solidarische Zusammenstehen und die Bereitschaft zur Hilfe. Dafür zwei Beispiele: Als Erstes möchte ich die vielen Amateurvereine im Verband nennen, die in der Krise vorbildliches Engagement gezeigt und sich auf vielfältige Weise und in unterschiedlichsten Unterstützungsaktionen solidarisch mit denen erwiesen haben, die die Krise noch härter getroffen hat, als sie selbst. So konnte die FVR-Stiftung „Fußball hilft“ mit Unterstützung der Lotto-Stiftung bislang über 40 Vereinen mit einer Prämie für ihre Aktionen Dank sagen. Solidarisch in ganz anderer Weise haben sich auch die Vereine der Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar erwiesen, als sie sich zugunsten von Vereinen, die knapp den Aufstieg verpasst hatten, mit der Aufstockung der Liga auf 24 Vereine einverstanden erklärt und dabei sogar die Zweiteilung der Liga in Kauf genommen haben. Vielleicht ist es aber gerade diese Zweiteilung, die die Liga nun besonders attraktiv und erfolgreich machen wird. Zu wünschen wäre es. Schon als weiterer Beleg dafür, dass gelebter Gemeinsinn auch dem Geber helfen kann.