Nach der Flut im Ahrtal gab es vielerorts kein Strom, kein Gas, kein Trinkwasser. Die Wiederherstellung der Versorgung war für den kommunalen Energieversorger eine Herkulesaufgabe.

Rund 25.000 der 28.000 Menschen in Bad Neuenahr-Ahrweiler waren von der Naturkatastrophe im Ahrtal betroffen. Kein Strom, kein Gas, kein Trinkwasser. Die Wiederherstellung der Versorgung war für den kommunalen Energieversorger – die vor 13 Jahren gegründeten Ahrtal-Werke – eine Herkulesaufgabe.

Wo steht das Unternehmen heute, zweieinhalb Jahre nach der Flut? Und wie aktiv gehen die Geschäftsführer Dominik Neswadba und Thomas Hoppenz mit ihren Mitarbeitern das Thema Energiewende an? Ein Interview mit Dominilk Neswadba, dem Geschäftsführer der Ahrtal-Werke, gibt Auskunft.

Zweieinhalb Jahre sind seit der Katastrophe im Juli 2021 vergangenen. Salopp gefragt: Haben Sie einen Haken hinter das Flutthema gemacht oder beschäftigt es die Ahrtal-Werke noch heute? 

Nein, die Naturkatastrophe und ihre Folgen sind natürlich noch nicht passé. Das war eine Zäsur für jeden, die hier im Ahrtal lebt – privat und beruflich. Ein extremer Einschnitt, der extreme emotionale Spuren hinterlassen hat. Das spürt man auch heute noch in Gesprächen mit unseren Kunden.

Als Ahrtal-Werke haben wir von Anfang an viel Verantwortung für die Menschen übernommen. Wir haben fast eineinhalb Jahre eine kostenlose Notstromversorgung zur Verfügung gestellt, die erst Monate nach der Bereitstellung durch einen Betrauungsakt mit dem Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler abgesichert werden konnte und sind große finanzielle Risiken eingegangen. Wir konnten als Ahrtal-Werke dank vieler Helfer, befreundeter Unternehmen und Geschäftspartner extrem schnell die Versorgung mit Strom und Wärme für unsere Kunden wieder herstellen – nach drei Tagen stand die Fernwärmeversorgung wieder vollständig zur Verfügung, am 19.  August konnte, wenn auch provisorisch, die 100%ige Verfügbarkeit unseres Stromnetzes verkündet werden. Bis unser Stromnetz für alle Anforderungen der Zukunft gerüstet ist, wird das aber noch Jahre dauern. Da ist Geduld gefragt. Ich bin aber überzeugt, dass das Leben in Bad Neuenahr-Ahrweiler auch dadurch in Zukunft noch lebenswerter wird. 

In jeder Krise steckt auch eine Chance, heißt es im Volksmund. Hat die Katastrophe ihrem Unternehmen auch neue Chancen gebracht. Und wenn ja, haben Sie diese Chancen auch nutzen können?

Der Stromversorgung und den Stromnetzen wird zukünftig eine noch höhere Bedeutung zukommen. Wir haben 2019 das Stromnetz operativ übernommen und jährlich 2 bis 3 Millionen Euro in das Netz investiert. Diese Summe müssen wir wegen der Katastrophenschäden nochmals ausgeben und darüber hinaus noch kräftig investieren. Das ist nicht nur der Katastrophe im Ahrtal geschuldet, sondern auch dem Krieg in der Ukraine und den Herausforderungen des Klimawandels. So wird beispielsweise die Elektrifizierung der Wärmeversorgung in Zukunft noch wichtiger sein. Und deshalb gibt es bereits heute in der Stadt keine Baustelle mehr, wo wir nicht proaktiv prüfen, ob hier auch Strom und Fernwärme mit in die Versorgungstrassen kommt. Das ist im Sinne der Bürger wichtig. Einerseits für eine innovative und auf die Zukunft ausgerichtete Infrastruktur, andererseits um die Belastungen unserer Mitbürger durch notwendige Baumaßnahmen so gering wie möglich zu halten.

Das zum 1. Januar 2024 in Kraft tretende neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) setzt große Hoffnungen auf Fernwärme. Das ist ihr Kerngeschäft. Wie hat es sich seit Juli 2021 entwickelt, welches Potenzial hat es noch? 

Das Interesse an Fernwärme war bereits vorher groß und hat sich nach der Flut nochmals deutlich gesteigert. Wir haben unser Netz seit 2021 nahezu verdoppelt auf heute rund 15 Kilometer im Stadtgebiet von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Wenn die bundespolitischen Vorgaben so bleiben, wollen wir jährlich das Netz um rund drei Kilometer ausbauen. Das ist natürlich für so ein junges Unternehmen wie unseres eine große Herausforderung.

Der rasche Wiederaufbau der Infrastruktur, die Versorgung der Menschen mit Strom und Wärme war eine gewaltige Herausforderung. Stehen Sie jetzt vor einer neuen Herausforderung – der Versorgung der Stadt mit erneuerbarer Energie? 

Eine nachhaltige Versorgung der Bürger mit Strom und Wärme ist eine unserer Kernaufgaben seit der Gründung der Ahrtal-Werke 2010. Und deshalb glaube ich, dass wir vor Ort beim Thema Fernwärme der allgemeinen Entwicklung auch schon einige Jahre voraus sind. Das zeigt sich meines Erachtens beispielsweise auch daran, dass die Stadt ihren kommunalen Wärmeplan, wie vom neuen Gebäudeenergiegesetz gefordert, bereits 2024 und somit weit vor der gesetzlichen Frist vorstellen will,  um zu wissen, welche Investitionen idealerweise getätigt werden müssen. 

Noch füttern sie das Fernwärmenetz weitestgehend mit Erdgas. Welche Rolle spielen nichtfossile Quellen in ihren strategischen Plänen? 

Natürlich ist die Dekarbonisierung, der Verzicht auf Erdgas, Kohle und Öl, unser Ziel bei der Wärmebereitstellung. Wir arbeiten bereits in einem unserer Kraftwerksmodule mit Biomethan. Wir nutzen vorrangig Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) zur Wärmeerzeugung, was besonders effizient ist, da zeitgleich Wärme und Strom erzeugt werden. 

Darüber hinaus haben wir an unserem neuen Kunstkraftwerk eine sogenannte innovative KWK realisiert, die die Kraft-Wärme-Kopplung mit der Nutzung einer Wärmepumpe kombiniert, die ihre Wärme aus der Thermalquelle im Kurpark bezieht. Ergänzt wird das Konstrukt zukünftig durch ein Solarthermiefeld. Alleine die gewonnene Wärmeenergie der Wärmepumpe reicht aus, um rund 200 Haushalte mit Fernwärme zu versorgen. 

Und auch die Windkraft wollen wir nutzen. Das wird unerlässlich sein, wenn wir unsere ehrgeizigen bundespolitischen Klimaziele erreichen wollen. Für vier bis fünf Windräder – das würde reichen, um rund drei Viertel des Strombedarfs in der Stadt zu decken – wollen wir noch bis Ende des Jahres die Genehmigungsanträge stellen. Noch ein Rechenbeispiel dazu: Schon ein Windrad würde die Strommenge verdoppeln, die in Bad Neuenahr-Ahrweiler heute mit Photovoltaikanlagen und Solarthermie erzeugt wird.

Und was ist mit Wasserstoff? 

Wasserstoff ist dann eine gute Lösung, wenn man ihn grün (ökologisch) erzeugen kann. Der Strommix in Deutschland liegt heute bei 49 Prozent aus erneuerbaren Energien. Wenn wir davon ausgehen, dass wir für die Zukunft eine starke Elektrifizierung anstreben – Wärmemarkt, Mobilität, Verkehr etc. –, dann sind wir eher bei 25 als bei 50 Prozent erneuerbare Energie.  Mit anderen Worten: Für unseren Bedarf haben wir noch viel zu wenig erneuerbare Energie. Und da, wo keine Effizienz bei der Herstellung von Wasserstoff erzielt werden kann, macht sie noch keinen Sinn. Als kleiner Energieversorger vor Ort denken wir heute noch nicht an die Produktion von Wasserstoff. Aber, einer der vielen Vorteile eines Fernwärmenetzes ist, dass wir auf einen Schlag unser Netz und damit viele Kunden auf eine noch ökologischere Energiequelle umstellen könnten – beispielsweise Wasserstoff –, wenn sie in ausreichender Menge vorhanden ist und wirtschaftlich produziert werden kann.

Ihre Einschätzung: Haben Bad Neuenahr-Ahrweiler und die Ahrtal-Werke mit ihrem Energiekonzept das Zeug dazu, Vorbild für die Energiewende in der Region zu werden?

Ja, das Interesse an unserer Vorgehensweise ist groß. Der Kreis, die Energieagentur Rheinland-Pfalz und die Klimaschutzmanager der nachbarschaftlichen Kommunen haben sich jüngst noch bei uns über unsere nachhaltige Energie- sowie Wärmeversorgung informiert. Es zeigt uns, dass unsere Arbeit derzeit durchaus Pilotcharakter hat. Wir werden als Ideengeber für den Aufbau einer ökologischen, nachhaltigen Versorgung in der Region wahrgenommen. Aber letztlich muss jede Lösung auf die jeweilige Region ausgelegt sein. Die Energiewende ist eine große Herausforderung für die Kommunen und jeden einzelnen Bürger. Das große Ganze denken, das kleine Individuelle nicht vergessen, muss das Ziel sein. Die Energiewende ist ein spannendes und anstrengendes Projekt, das uns noch über Jahre beschäftigen wird. Die Ahrtal-Werke wollen ihren Beitrag dazu leisten.