Im Kino feierte Harrison Ford zuletzt 2023 ein Comeback in seiner Paraderolle als Action-Archäologe und griff für Indiana Jones und das Rad des Schicksals vermutlich ein letztes Mal zu Fedora-Hut, Lederjacke und Peitsche. Reif für die Rente ist die Indy damit aber noch lange nicht: Denn mit Indiana Jones und der Große Kreis schicken die Wolfenstein-Macher von Machine Games die Kult-Figur in ein fulminantes Abenteuer, das vor allem den älteren Filmen der Reihe in nichts nachsteht und eines der Höhepunkte im Spielejahr 2024 markiert. Mehr dazu im Test von Indiana Jones and the Great Circle.

 Name: Indiana Jones und der Große Kreis (Indiana Jones and the Great Circle)
Genre: Action-Adventure
Entwickler: Machine Games
Publisher: Bethesda / Xbox Game Studios
Plattform: PC, Xbox Series X|S (getestet), PlayStation 5 (Frühjahr 2025)
Veröffentlichung: 09.12.2024
Preis: ab 79,99 Euro

Jäger von verlorenen Schätzen

Schon in der Vergangenheit hat Indiana Jones bewiesen, dass er auch abseits der Kinoleinwand fantastische Abenteuer in Form von interaktiver Unterhaltung erleben kann: Vor allem der Adventure-Klassiker Indiana Jones and the Fate of Atlantis aus der Feder von Hal Barwood sorgt bei Indy- und Knobel-Fans immer noch für ein Leuchten in den Augen, doch auch im Pixel-Gewand des Action-Plattformers Indiana Jones’ Greatest Adventures oder den ersten 3D-Ausflügen in Indiana Jones and the Infernal Machine und Indiana Jones und die Legende der Kaisergruft machte der Archäologie-Professor eine gute Figur. Gleiches gilt für die beiden Klötzchen-Ableger LEGO Indiana Jones, in denen die Kinofilme im bewährten Klemmbaustein-Stil und mit einigen kreativen Freiheiten nachgespielt werden konnten. Enttäuschend fiel dagegen der letzte große Konsolen-Auftritt mit eigener Geschichte aus: Indiana Jones and the Staff of Kings hatte bei der Veröffentlichung im Jahr 2009 mit vielen technischen aber auch inhaltlichen Problemen zu kämpfen, allen voran einer furchtbaren Bewegungssteuerung bei der Wii-Version und unglücklich platzierten Speicherpunkten, die für viel Frust gesorgt haben. 
 

Abenteuerreise rund um den Globus


Das passiert bei Indiana Jones und der Große Kreis zum Glück nur selten – etwa in den wenigen Ausnahmesituationen, in denen man mangels Hinweisen oder einer Erklärung nicht so recht weiß, wie man in bestimmten Situationen überleben oder weiterkommen soll. Oder hin und wieder kleine Bugs auftreten, darunter fast schon amüsante Aussetzer der ohnehin nicht gerade clever agierenden KI oder falsch platzierte Dialogzeilen, die in Dauerschleife wiederholt werden. Auch kann es durchaus passieren, dass ein Alarm einfach nicht mehr aufgehoben werden will, sobald man einmal entdeckt wurde. Aber das sind alles Peanuts, genau wie die kleinen Ruckler in den filmreif inszenierten Zwischensequenzen oder die zahlreichen Pop-ups in Dschungel-Schauplätzen.
 

Denn was Machine Games hier im Gesamtpaket auffährt, ist ganz großes und interaktives Abenteuerkino, dem es gelingt, das Flair und die Atmosphäre der Marke Indiana Jones auf überzeugende Weise einzufangen. Ohne zu spoilern ist bereits der Auftakt ein kleiner Geniestreich, um perfekt auf die abwechslungsreiche Abenteuerreise rund um den Globus einzustimmen und vor allem bei Fans der ersten Stunde für nostalgische Glücksgefühle zu sorgen. Nachdem eine geheimnisvolle und wahrhaft riesige Gestalt ein scheinbar unauffälliges Artefakt aus dem Museum des Marshall College stiehlt und flieht, packt Dr. Henry Jones Junior seinen Koffer und schlüpft erneut in die Abenteurer-Kluft, um das Rätsel rund um den lateinisch sprechenden Eindringling und das entwendete Artefakt zu lösen. Die Jagd nach Antworten führt Indy u.a. in den Vatikan, ins eisige Himalaya-Gebirge, den dichten Dschungel von Siam und zu den Pyramiden von Gizeh. Über weite Strecken begleitet wird er dabei von der Investigativ-Journalistin Ginetta „Gina“ Lombardi, die das Verschwinden ihrer Schwester aufklären möchte. Als Expertin für antike Sprachen scheint sie eine wichtige Rolle bei der Suche nach Artefakten rund um den so genannten „Großen Kreis“ zu spielen und hat mit ihrer Expertise die Aufmerksamkeit von Faschisten auf sich gezogen, die ebenfalls die mysteriösen Steine finden wollen, die den Schlüssel zu einer ungeahnten Macht bilden. Dabei erweist sich vor allem der deutsche Archäologe und Nazionalsozialist Emmerich Voss als ein gefährlicher und gewiefter Widersacher, aber auch ein geheimnisvoller Orden hat seine Finger im Spiel und legt sowohl den Nazis als auch Indy immer wieder Steine in den Weg, um das Geheimnis des „Großen Kreises“ zu bewahren. Angesiedelt ist die Handlung im Jahr 1937 und damit nach den Ereignissen aus Jäger des verlorenen Schatzes.
 

Eine ausgezeichnete Mischung


Den Großteil des Abenteuers erlebt man aus der Ego-Ansicht und tritt damit im wahrsten Sinne des Wortes in die Fußstapfen von Indiana Jones. Nur in vereinzelten Momenten wie Kletterpassagen schaltet das Spiel für eine bessere Übersicht in eine Schulteransicht um, in der man die Figur sieht. Die Mischung geht auf – und das sogar besser als ich es nach der Ankündigung erwartet habe. Glücklicherweise bewahren die Shooter-Experten von Machine Games („Wolfenstein: The New Order“) den Charme und die Essenz der Marke und liefern keine Dauer-Action unter Dauerfeuer ab – die gibt es höchstens in den eingestreuten Railsequenzen, die für angenehme Tempowechsel sorgen. Zwar darf man auch zwischendurch schon mal zum Revolver oder Maschinengewehren greifen, aber schon der Munitionsmangel in Kombination mit unerwünschter Aufmerksamkeit sorgt dafür, dass man in den Auseinandersetzungen mit Gegnern lieber die Fäuste sprechen lässt oder ihnen mit Alltagsgegenständen wie Schaufeln eins über die Mütze zieht. Schleichen erweist sich hier meist als die bessere Wahl als die direkte Konfrontation, wobei man ausgeknockte Gegner tragen und damit vor den Augen von Patrouillen verstecken darf. Leider bekommt man dabei nicht die Möglichkeiten eines Metal Gear Solid oder Hitman und auch der Einsatz von Verkleidungen wie z.B. ein Priestergewand bleibt eher oberflächlich. Das Niveau der ganz großen Schleichabenteuer erreicht Indiana Jones also nicht, aber Indy ist halt eben weder ein Solid Snake noch ein Sam Fisher – und das ist gut so!
 

„Das gehört in ein Museum“


Nein, Indiana Jones ist ein Archäologe! Und dieser Aspekt kommt zum Glück ebenfalls nicht zu kurz im Spielablauf. Vor allem die drei großen und weitläufigen Hub-Areale laden zum Erkunden ein und begeistern mit klasse designten Verliesen und Locations, bei denen neben Akrobatik auch Köpfchen gefragt sind. Denn die clever designten Umgebungs- und Entzifferungsrätsel aktivieren immer wieder den Entdeckergeist und man fühlt sich tatsächlich wie der berühmte Archäologe, der wie in einem modernen Escape Room mit Einfallsreichtum und Kombinationsgabe die gut versteckten Geheimnisse löst. Neben dem Tagebuch voller Notizen und Karten zur Orientierung setzt Indy vor allem auf zwei wichtige Utensilien: Zum einen eine Kamera, die nicht nur zur Suche nach Motiven und dem damit verbundenen Zuwachs an Abenteuerpunkten zum Kauf nützlicher Extrafähigkeiten motiviert, sondern einem auch bei Rätseln unter die Arme greift, falls man wirklich mal auf dem Schlauch stehen sollte. Und keine Sorge: Hier gibt es keinen ausgewachsenen Talentbaum im Stil der letzten Tomb-Raider-Spiele, sondern lediglich optionale Fähigkeiten, die das Leben etwas erleichtern. Ich habe tatsächlich weitestgehend auf diese Extras verzichtet und es trotzdem ohne unüberwindbare Probleme bis zum Abspann geschafft.

Das zweite wichtige Gadget ist dagegen Indys „Signature-Equipment“: seine Peitsche! Mit ihrer Hilfe überwindet er u.a. tiefe Abgründe, zieht sich an steilen Wänden hoch, lässt sich in finstere Grabstätten hinab oder schnippt Gegnern die Waffen aus den Händen. Selbst bei dem einen oder anderen Rätsel kommt das gute Stück zum Einsatz und es wird immer wieder deutlich, dass die Peitsche bei den Abenteuern von Indiana Jones einfach nicht fehlen darf!   
 

Starker Soundtrack, überragende Sprecher


Selbstverständlich gilt das auch für das berühmte Musik-Thema („The Raiders March“) aus der Feder von John Williams, das man im Spiel ebenfalls immer wieder auftaucht. Großes Lob gebührt aber auch Komponist Gordy Haab, der bereits bei Indiana Jones und der Stab der Könige eindrucksvoll bewiesen hat, was er auf dem Kasten hat, und auch hier wieder mit seinen großartigen Arrangements die richtigen Töne trifft und das Abenteuer musikalisch im Stil des großen Vorbilds untermalt. Ein ähnliches Kunststück gelingt Synchron-Profi Troy Baker (u.a. „The Last of Us“, „Death Stranding“), dessen Performance und Tonlage sich unfassbar nah an der Originalstimme von Harrison Ford bewegt. Nicht umsonst wurde Baker bei den Game Awards von der Schauspiel-Legende höchstpersönlich für seine überzeugende Darbietung als Indiana Jones gelobt. Doch auch der deutsche Sprecher leistet fantastische Arbeit: Zwar konnte oder wollte Bethesda nicht Fords langjährigen Synchronsprecher Wolfgang Pampel mit dessen markanter Stimme engagieren, aber dessen Kollege Florian Clyde, der schon bei Solo: A Star Wars Story in der Rolle des Han Solo zu hören war, ist so verdammt nah dran am Vorbild, dass der Unterschied kaum noch ins Gewicht fällt. Doch nicht nur der Protagonist wurde gut besetzt, sondern nahezu alle Rollen begeistern mit passenden und professionellen Stimmen. Tatsächlich zählt Indiana Jones und der Große Kreis sprachlich für mich mit zu den besten deutschen Synchronisationen im Videospielbereich und entgegen meiner Vorliebe zum englischen Original (...das im Detail auch hier wieder besser ist) bin ich bei der deutschen Tonspur geblieben.   

Fazit:
 

Zugegeben: Bei der Ankündigung war ich noch sehr skeptisch, ob die Ego-Perspektive wirklich die richtige Wahl für ein Indiana-Jones-Spiel ist. Und auch jetzt frage ich mich noch manchmal, ob das Gesamterlebnis in einer Schulteransicht im Stil von Uncharted oder Tomb Raider ein besseres gewesen wäre. Doch am Ende ist es irrelevant, denn mit Indiana Jones und der Große Kreis ist Machine Games in Zusammenarbeit mit Lucasfilm Games ein exzellentes Action-Adventure gelungen, das mit einer starken Mischung aus abwechslungsreichen Schauplätzen, motivierender Erkundung, intensiven (Faust-)Kämpfen und durchdachten Rätseln begeistert. Es ist fantastisch, wie hier dieses ganz besondere Abenteuer-Flair der frühen Indy-Filme eingefangen wird – auch dank der cineastischen Inszenierung in Zwischensequenzen, dem atmosphärischen Soundtrack und überzeugenden Synchronsprechern, die sogar in der deutschen Sprachfassung grandiose Arbeit leisten. Abseits von ein paar ärgerlichen Bugs, vereinzelten technischen Schnitzern und der durchschnittlichen KI gibt es nicht viel, was man an diesem grandiosen Ritt aussetzen kann. Tatsächlich markiert Indiana Jones and the Great Circle für mich neben überragenden Plattformer Astro Bot eines der besten Spiele des Jahres 2024. PS5-Besitzer müssen sich zwar noch bis nächstes Jahr gedulden, haben aber jetzt schon allen Grund zur Freude, dass sich Indy in dieser Bestform noch auf die Sony-Konsole schwingen wird.

 Worum geht’s?

In Indiana Jones und der Große Kreis schlüpft man in die Rolle des wohl berühmtesten Archäologen der Popkultur, der in mittlerweile fünf Kinofilmen von Harrison Ford verkörpert wurde und auch schon in diversen Videospielen abseits der Leinwand spannende Abenteuer erleben durfte. Hier liefert man sich erneut mit den Nazis einen Wettlauf gegen die Zeit, um geheimnisvolle Artefakte zu finden, die rund um den Globus versteckt wurden und eine gefährliche Macht entfesseln können, sobald sie vereint werden. Dabei erlebt man das Action-Adventure überwiegend aus der Ego-Perspektive und bekommt eine exzellente Mischung aus Erkundung, Schleichen, Kämpfen und Rätseln serviert – und das alles verpackt in einer spannenden Geschichte, die den Filmen in nichts nachsteht und sie teilweise sogar übertifft.   
          

Indiana Jones und der Große Kreis ist geeignet für Spieler, die...

    • schon immer Indiana Jones sein wollten
    • auf Nahkampf-Action und Schleichen stehen
    • gerne Rätsel lösen

Indiana Jones und der Große Kreis ist weniger geeignet für Spieler, die...

    • Indiana Jones immer im Blick haben wollen 
    • lieber Ballern statt Prügeln und Grübeln
    • auf eine clevere Gegner-KI hoffen

Alternativen: Dishonored, Uncharted 4, Shadow of the Tomb Raider