In der Fortsetzung zum preisgekrönten Reboot von God of War macht Sony Santa Monica dort weiter, wo man aufgehört hat: Hat Ragnarok das Zeug, den Vorgänger zu toppen?

 Name: God of War Ragnarök
Genre: Action-Rollenspiel
Entwickler: Sony Santa Monica Studios
Publisher: Sony Interactive Entertainmant
Plattform: PlayStation 4, PlayStation 5 (getestet)
Veröffentlichung: 09.11.2022
Preis: zwischen 69,99 und 79,99 Euro

Bei der Wahl zum Spiel des Jahres 2022 gab es auf zahlreichen Preisverleihungen nur zwei ernstzunehmende Kandidaten: Das Fantasy-Epos Elden Ring von From Software, an dem auch Autor George R.R. Martin mitgewirkt hat („Das Lied von Eis und Feuer“ / „Game of Thrones“). Und God of War Ragnarök von Sony Santa Monica, die Fortsetzung des kampflastigen Abenteuers, eingebettet in die nordische Mythologie. Kann der PlayStation-exklusive Aggro-Spartaner seit seinem ersten Auftritt 2005 auf der PlayStation 2 immer noch begeistern?

Vom DLC zur vollwertigen Fortsetzung

Ursprünglich war Ragnarök nur als eine Download-Erweiterung des Reboots von 2018 geplant. Allerdings wuchsen im Laufe der Zeit sowohl Ideen als auch Ambitionen der Entwickler, so dass aus dem DLC schließlich eine vollwertige Fortsetzung wurde. Dabei schließt die Handlung unmittelbar an das Ende des Vorgängers an – Neueinsteigern dürften trotz einige Erklärungsansätze deshalb schon im bombastisch inszenierten Prolog viele Fragezeichen im Kopf herum schwirren. Daher sollte man den ersten Teil im Idealfall abgeschlossen haben, bevor man sich Ragnarök widmet, um alle Zusammenhänge zu verstehen und wichtige Figuren kennenzulernen – allen voran Kratos’ aufmüpfigen Sohn Atreus und dessen Rolle in einer Prophezeiung.

Wenn Thor an die Haustürklopft…

Die brachialen Kämpfe fühlen sich für Spieler des Vorgängers aber auch Serienkenner der alten Teile umgehend vertraut an: Zwar wurden der Streitaxt und den Chaosklingen ein paar coole neue Funktionen spendiert und Elementarangriffe wie Feuer oder Eis spielen zusammen mit einer vertikaleren Ausrichtung eine größere Rolle bei Auseinandersetzungen, aber die ganz großen Fortschritte oder Änderungen im Kampfsystem sollte man hier trotz zusätzlicher Waffen und Kombos nicht erwarten.

Darüber hinaus leidet die Action aufgrund der starren Schulteransicht immer noch an Übersichtsproblemen. Dessen sind sich auch die Entwickler bewusst: Neben Pfeilsymbolen, die die Richtung der kommenden Gegnerattacken und Nähe anzeigen, rufen auch die Mitstreiter immer wieder zu, aus welchen Positionen der nächste Angriff erfolgt. Das sind zwar nützliche Hilfen, aber selbst mit der optionalen Lock-On-Funktion auf Feinde ist es hier unmöglich, dauerhaft einen optimalen Überblick über das Kampfgeschehen zu bekommen. In dieser Beziehung waren die ursprünglichen Episoden vor dem Reboot schlichtweg besser konzipiert.

Der Gott der Kisten

Das gilt auch im Hinblick auf die Platzierung von Truhen: Hat man sich früher gefreut, in den relativ seltenen Momenten neue Orbs für die Gesundheit oder seltene Gegenstände in den Kisten zu finden, wird man hier wie schon im Reboot regelrecht bombardiert mit Fundstücken. Manchmal hat man das Gefühl, als würde ein Großteil des Spielablaufs nur darin bestehen, irgendwelche Truhen zu öffnen, in denen sich meist Hacksilber oder irgendwelche Ressourcen befinden, die zum Teil auch getötete Gegner hinterlassen.

Denn auch das Crafting in der Schmiede der beiden Zwerge Brok und Sindri ist wieder von Bedeutung: Hier verbessert man u.a. die Ausrüstung und Charakterwerte oder treibt Handel mit dem Verkauf von Artefakten und Ressourcen. Neben Rüstungsteilen sowie Upgrades für Waffen und Schilde lassen sich in der Schmiede außerdem noch Zauber und Reliquien fertigen bzw. verbessern. Fleißige Kundschafter haben schnell Zugriff auf eine riesige Auswahl an Gegenständen, die alle Vor- und Nachteile mit sich bringen und sich aufleveln lassen. Wer keine Lust auf das ständige Inventargefrickel hat, darf zum Glück die Ausrüstung mit dem gewünschten Fokus auf Angriff oder Verteidigung auf Knopfdruck automatisch zusammenstellen lassen.

Weniger wäre mehr!

Und als wäre das alles noch nicht genug, peppt man auch noch das Schlagrepertoire der einzelnen Waffen in einem Fähigkeitenbaum auf, der sich über verschiedene Bereiche erstreckt – und das nicht nur für Protagonist Kratos, sondern auch Atreus und weitere wichtige Begleiter, die dem Spieler mit speziellen Fähigkeiten und Angriffen zur Seite stehen. Tatsächlich fühlt man sich stellenweise regelrecht erschlagen von all den Möglichkeiten, die hier geboten werden. Schon die Navigation durch die verschachtelten Menüs und Listen ist mitunter herausfordernder als die Kämpfe. Mit diesem Overkill an Equipment, Skills, Tagebucheinträgen und noch mehr lästigem Sammelkram an allen Ecken und Enden wirkt God of War Ragnarök insgesamt leider viel zu überfrachtet. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen!

Und warum muss die Spielzeit heutzutage mit so vielen Nebenmissionen künstlich gestreckt werden? Ständig wird man darum gebeten, für optionale „Gefallen“ den Hauptpfad zu verlassen. Das ist zwar wohlgemerkt freiwillig, aber es ist fast schon unangenehm, in welcher Frequenz diese zusätzlichen Aufgaben vorgeschlagen werden. Dabei hätten die Hauptmissionen eigentlich schon mehr als genug Stoff, Action und Abwechslung zu bieten, obwohl manche Passagen tatsächlich auch dort erschreckend öde ausfallen. Immerhin sorgt der Wechsel der Figurenkonstellationen für frische Impulse und neben Kratos darf man auch häufiger die Kontrolle über Atreus übernehmen, bei dessen ständigen und oft dämlichen Monologe man häufig mit den Augen rollen muss.

Ein beeindruckender Technik-Showcase

Während man manche Designentscheidungen zurecht kritisieren darf, wird es bei der Technik deutlich schwieriger: Der Pfad durch die nordische Mythologie wird imposant in Szene gesetzt und begeistert mit einer atemberaubenden Architektur der abwechslungsreichen Schauplätze, imposanten XXL-Gegnern, einem starken Soundtrack zwischen epischem Bombast und Melancholie sowie professionellen Sprechern sowohl auf Englisch als auch Deutsch. Dazu gesellen sich clever gestaltete Areale, in denen man trotz größerer Hub-Abschnitte den Schritt zur offenen Welt zum Glück nicht vollzieht, sondern meist auf linearen Pfaden voran schreitet. Zur besseren Orientierung wird trotzdem eine Karte geboten und unter den Bildschirmanzeigen befindet sich neben Leisten für Lebensenergie und Rage auch ein Kompass mit Abstandsangaben zu ausgewählten (Neben-)Missionen. 

Auf der PS5 bekommt man die Wahl zwischen zwei Grafikmodi, die entweder die visuelle Qualität und hohe Auflösung oder die Performance mit einer höheren Bildrate bieten. Besitzer eines modernen TVs dürfen außerdem einen High-Framerate-Modus für eine extrem flüssige Darstellung mit 120Hz auswählen und auch VRR (Variable Refresh Rate) sowie das haptische Feedback des DualSense-Controllers werden vom Spiel unterstützt. Dazu gesellt sich eine reaktionsfreudige und überwiegend präzise Steuerung, die leider so manche fummelige Mechanik wie die Platzierung von explosiven „Magie-Bomben“ aber nicht verhindern kann. 

Das Spiel des Jahres?

Ist God of War Ragnarök ein Kandidat für das Spiel des Jahres? Für mich lautet die Antwort ganz klar nein! Dafür ist mir das Spieldesign mit seinem zunehmenden Fokus auf Rollenspiel-Elemente und unerträglichen Sammelorgien mittlerweile viel zu überfrachtet, was den Spielspaß zusammen mit den Übersichtsproblemen in Kämpfen spürbar beeinträchtigt. Trotzdem bekommt man immer noch ein richtig gutes Action-Rollenspiel, das aber weniger in spielerischer Hinsicht, sondern mehr im Hinblick auf die großartige Geschichte, die filmreife Inszenierung und die beeindruckende Technik im Gedächtnis bleibt – in diesen Bereichen lässt der alte Kratos auch Elden Ring weit hinter sich!

 Worum geht’s?

God of War Ragnarök schließt unmittelbar an die Handlung des Reboots aus dem Jahr 2018 an: Kratos und sein Sohn Atreus wirbeln weiter durch die nordische Mythologie und legen sich mit den Asen rund um Allvater Odin und ihren Schergen an. Gleichzeitig sucht das Duo zusammen mit alten und neuen Weggefährten nach einer Lösung, wie sich Ragnarök und damit die Sage vom Untergang der Götter doch noch verhindert lässt. Beim Spielprinzip bleibt alles beim Alten mit der gewohnten Mischung aus Nah- und Fernkampf, Erkundung mit eingestreuten Rätseln, viel (zu viel) Sammelkram sowie Verbesserungen von Fähigkeiten und Ausrüstung – alles verpackt in einer bombastischen Inszenierung.

God of War Ragnarök ist geeignet für Spieler, die...

• nach dem Cliffhanger-Ende wissen wollen, wie die Geschichte weitergeht
• ein bombastisch inszeniertes Abenteuer suchen
• ein Faible für die nordische Mythologie haben


God of War Ragnarök ist weniger geeignet für Spieler, die...

• den Vorgänger noch nicht gespielt haben
• den Sammel- und Kisten-Overkill nicht länger ertragen
• sich neue spielerische Impulse erhoffen

Alternativen: God of War (2018), Assassin's Creed Valhalla, DMC: Devil May Cry