Zum 15-jährigen Jubiläum von Assassin's Creed orientiert sich Ubisoft wieder an den Anfängen der Reihe. Ist der Rückschritt vom Rollenspiel zum Action-Adventure am Ende gar ein Fortschritt?

 Name: Assassin's Creed Mirage
Genre: Action-Adventure
Entwickler: Ubisoft Bordeaux
Publisher: Ubisoft
Plattform: PC, PS5 (getestet), Xbox Series X|S, Xbox One, PS4
Veröffentlichung: 05.10.2023
Preis:  ab 49,99 Euro

Anlässlich des 15-jährigen Jubiläums von Assassin’s Creed geht Ubisoft zurück zu den Wurzeln: Statt gigantischem Umfang, einer riesigen Spielwelt und Durchseuchung mit Rollenspielelementen orientiert man sich bei Mirage inhaltlich und konzeptionell wieder an den Anfängen der Reihe, in der noch das Action-Adventure und Schleichen im Mittelpunkt standen. Ist der Rückschritt am Ende vielleicht sogar ein Fortschritt?

Der Kniefall vor dem Rollenspiel

Alles viel zu aufgebläht, eine zugemüllte Spielwelt mit Beschäftigungs-Overkill, dazu eine fragmentierte Geschichte mit fragwürdiger DLC-Politik und zu allem Überfluss auch noch Mikrotransaktionen: Es gab verdammt viele Gründe, Assassin’s Creed Valhalla nicht zu mögen. Bei mir gesellten sich noch die Rollenspiel-Elemente hinzu, mit denen die Reihe seit der Veröffentlichung von Assassin’s Creed Origins im Jahr 2017 durchseucht wurde und sich seitdem zunehmend aus dem Genre der klassischen Action-Adventures verabschiedete. Gleichzeitig wurde der Schleichaspekt und damit der zentrale spielerische Kern der ersten Assassinen immer weiter zurück gedrängt und musste brachialen Kämpfen, Ausrüstungs- und Loot-Wahnsinn sowie zähen Beschäftigungstherapien in immer größeren offenen Spielwelten weichen. Für mich hatte sich Assassin’s Creed damit erledigt, denn ich empfand vor allem Valhalla schon nach wenigen Stunden als unfassbar langweilig, überladen und eine Verschwendung wertvoller Lebenszeit!

Ein Schleichabenteuer vergangener Tage

Bei Mirage habe ich dagegen das Gefühl, in eine Zeitkapsel eingestiegen zu sein: Nicht nur deshalb, weil ein Großteil der Handlung in einem beeindruckenden Bagdad des 9. Jahrhunderts angesiedelt ist und man viele interessante Kodex-Einträge rund um die Metropole und das Kalifat sammeln kann. Sondern auch, weil die Kulisse und insbesondere die Figurenmodelle mit ihrer hölzernen Mimik wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Tatsächlich entsteht der Eindruck, plötzlich wieder im Jahr 2007 gelandet zu sein und ich dabei eines der ersten Schleichabenteuer aus der Reihe erlebe, die damals unter der Leitung von Jade Raymond für Aufsehen gesorgt und für mich mit der Ezio-Trilogie einen echten Höhepunkt markiert hat.

Dieses Niveau erreicht Mirage nicht – dafür ist der Protagonist Basim Ibn Ishaq schlichtweg zu langweilig und verblasst gegen den charismatischen Ezio Auditore da Firenze, obwohl die Geschichte einige Parallelen aufweist. Denn in Mirage arbeitet man sich vom kleinen Straßendieb über die harte und viel zu schnelle Ausbildung bis zum Meister-Rang innerhalb der Assassinen-Bruderschaft nach oben, um es mit den machthungrigen Schergen des Templarordens aufzunehmen – der klassische Kampf zwischen Freiheit und Unterdrückung, also zwischen Gut und Böse.

Stealth statt Konfrontation

Genau wie früher rückt hier endlich wieder das Schleichen in den Vordergrund, um Gebäude zu infiltrieren, wichtige Gegenstände zu stehlen, Gefangene zu befreien oder gezielte Attentate auszuführen. Die KI-Gegner agieren in manchen Situationen zwar nicht sonderlich clever und lassen sich nach einer Entdeckung recht schnell wieder abschütteln, aber im Pulk und mit gezückten Schwertern stellen sie schon auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade definitiv eine größere Bedrohung dar als zu den Anfangszeiten der Reihe.

Selbstverständlich ist auch Basim im Kampf geschult und sowohl mit einem Langschwert als auch Wurfdolchen bewaffnet. Das Kampfsystem bietet dabei das typische Repertoire an schweren und leichten Angriffen, Ausweichrollen und Blocken zum richtigen Zeitpunkt, fühlt sich dabei aber nie so kraftvoll und elegant an, wie es z.B. beim großartigen Ghost of Tsushima der Fall war. Daher sollte man sich nicht nur der höheren Spannung wegen vornehmlich auf den Schleichpfad begeben und gegnerische Wachen höchstens mit unauffälligen Stealth-Kills aus dem Weg räumen.

Weniger ist mehr

Obwohl Bagdad einige Nebenbeschäftigungen und sogar kleine Rätseleinlagen zu bieten hat, sind die Hauptmissionen sehr linear angelegt, selbst wenn man hin und wieder die Wahl hat, in welcher Reihenfolge man die Aufgaben erledigen möchte. Und auch in Sachen Spielzeit dreht Ubisoft bei Mirage die Uhr zurück in Richtung Vernunft: Anstatt Spieler über hunderte von Stunden mit repetitiven Aktionen zu beschäftigen bzw. zu langweilen, erlebt man das Finale hier bereits nach etwa 20 Stunden, fühlt sich dabei aber über weite Strecken trotz der mitunter hakeligen Steuerung richtig gut unterhalten.   

So ganz will man sich bei Ubisoft dann aber doch nicht von RPG-Elemente trennen, denn es findet sich immer noch ein überschaubarer (aber dafür sinnvoller) Talentbaum, verschiedene Outfits mit Perks und auch die Waffen lassen sich verbessern – leider nur in Verbindung mit überflüssigem Sammelkram, auf den man angesichts der halbherzigen Implementierung auch gut und gerne hätte komplett verzichten dürfen. Gleiches gilt für die obligatorischen Mikrotransaktionen für neue Skins und Waffen, mit denen man zwar u.a. dem wunderbaren Prince of Persia als geistigem Vater der Reihe Tribut zollt, aber dennoch schon zum Start wie ein heimtückischer Bettler die Hände für weitere Münzen aufhält.

Liegt die Zukunft in der Vergangenheit?

Und doch würde ich sowohl Fans als auch Neueinsteigern Assassin’s Creed Mirage wärmstens empfehlen: Trotz der genannten Kritikpunkte wirkt das Spielerlebnis ohne den schweren Rollenspiel-Ballast samt völlig überzogenem Umfang angenehm frisch. Die Rückbesinnung auf die Tugenden der Assassinen – nämlich das Schleichen und Meucheln im Schatten – trägt einen großen Teil dazu bei, dass die Reihe bei mir pünktlich zum Jubiläum wieder eine alte Faszination entfachen kann, die ich schon längst verloren gegangen glaubte. Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Resonanz der Fans ebenfalls positiv ausfällt und bei Ubisoft vielleicht langsam ein Umdenken stattfindet, dass riesige, mit repetitiven Aufträgen und Beute zugemüllte Spielwelten und das Rollenspiel-Korsett langsam ausgedient haben. Auf jeden Fall wirkt Assassin’s Creed Mirage wie ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung.    

 Worum geht’s?

In Assassin’s Creed Mirage begleitet man Basim Ibn Ishaq auf seiner Entwicklung vom kleinen Straßendieb zum gefürchteten Assassinen im historischen Bagdad des 9. Jahrhunderts. Im Zentrum steht der schwelende Konflikt zwischen dem machtbesessenen Tempelorden und der Bruderschaft der Assassinen, die aus dem Schatten gegen die drohende Unterdrückung kämpfen. Inhaltlich und spielmechanisch orientiert man sich anlässlich des 15-jährigen Jubiläums der Reihe wieder stärker an den Anfängen und schraubt sowohl Rollenspielelemente als auch Umfang zugunsten eines größeren Schwerpunkts auf Schleichaspekte sowie eine lineare Erzählung zurück.          

Assassin's Creed Mirage ist geeignet für Spieler, die...

    • Serienfans der ersten Stunde sind
    • lieber schleichen statt kämpfen
    • ein lineares Missionsdesign bevorzugen


Assassin's Creed ist weniger geeignet für Spieler, die...

    • wieder auf Rollenspiel-Elemente und verzweigte Skill-Trees stehen
    • den XXL-Umfang der letzten Teile erwarten
    • auf einen charismatischen Protagonisten hoffen 

Alternativen: The Last of Us, Ghost of Tsushima, Watch_Dogs 2