Die Energieversorgung Mittelrhein (evm) mit Sitz in Koblenz ist das größte kommunale Energie- und Dienstleistungsunternehmen aus Rheinland-Pfalz. Sie versorgt rund 330.000 Kundinnen und Kunden mit Strom, Gas, Wasser und Wärme, betreibt Netze in über 250 Kommunen und engagiert sich im Bereich Erneuerbare Energien und in der Telekommunikation. Die evm liefert an Privat- und Gewerbekunden seit 2014 ausschließlich Ökostrom. Mit rund 1.000 Mitarbeitenden und elf Kundenzentren ist sie in der Region stark präsent. Alle Anteile liegen in kommunaler Hand. Mithun Basu und Christoph Hesse sind seit Mitte 2023 bzw. Anfang 2024 die beiden Vorstände. Sie standen Merkurist-Herausgeber Burkhard Hau und Marketing-Direktor Marc Mutert für ein Interview zur Verfügung.
Rückblickend auf 2024, wie fällt die Bilanz der evm aus?
MB: Die Energiebranche ist seit Jahren im Wandel. Nach dem Ukraine-Krieg mussten wir viele Kunden in unserer Grundversorgung auffangen – viele Discounter verschwanden im Zuge der Energiekrise vom Markt. Das stellte uns zunächst vor große Herausforderungen, da wir für diese neuen Kunden noch Energie beschaffen mussten. Dennoch ist es uns gelungen, einen echten Turnaround zu schaffen: Mit neuen Marktstrategien und Prozessoptimierungen konnten wir schnell reagieren und Stabilität schaffen. Im klassischen Commodity-Geschäft – also bei Strom und Gas – ist uns die Wende gelungen. Gleichzeitig haben wir mit rund 60 Mitarbeitenden in über 50 Workshops eine neue Unternehmensstrategie erarbeitet. Die Initiative „compass.30“ wurde bewusst partizipativ entwickelt – wir Vorstände waren bei fast jedem Workshop persönlich anwesend.
CH: Ein weiterer Meilenstein war der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Basis dafür war bereits gelegt, doch wir konnten das Tempo deutlich erhöhen. Unser Anspruch ist klar: Wir wollen die Energiewende im nördlichen Rheinland-Pfalz aktiv mitgestalten – als Gestalter, nicht nur als Händler. Unser aktuelles Portfolio umfasst rund 70 Megawatt installierte Leistung aus erneuerbaren Quellen. Perspektivisch sehen wir die Möglichkeit, auf etwa 500 Megawatt zu wachsen – entsprechende Projekte sind bereits in der Pipeline. Dafür haben wir gezielt nach geeigneten Flächen innerhalb und außerhalb der Koblenzer Stadtgrenzen gesucht, etwa in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Neuwied und dem Fürstenhaus zu Wied. Dort könnten bis zu 300 Megawatt entstehen. Langfristig verfolgen wir das Ziel einer möglichst autarken Energieversorgung für die Region – mit Erzeugung, Speicherung und Versorgung aus einer Hand.
Wie finanzieren Sie langfristige Großprojekte wie die Energiewende?
CH: Wir planen bis 2045 rund 290 Millionen Euro aus Eigenmitteln in erneuerbare Energien und Wärmewende zu investieren. Ergänzend kommt ein Drittel Fremdkapital hinzu – insgesamt über 400 Millionen Euro.
MB: Hinzu kommen rund 1,4 Milliarden Euro für den Netzausbau – 300 Millionen davon in den nächsten fünf Jahren. Denn ohne passende Infrastruktur gelingt die Energiewende nicht.
Wie sichern Sie dabei eine bezahlbare und stabile Energieversorgung?
MB: Durch eine solide Finanzbasis. Unsere Eigenkapitalquote liegt bei knapp 40 Prozent, der dynamische Verschuldungsgrad bei 0,8 – deutlich unter dem Branchenschnitt. Das verschafft uns Spielräume für Investitionen.
Wie viel Innovationsfreiraum hat die EVM?
MB: Viel – weil die Mitarbeitenden offen für Veränderungen sind. Wir setzen stark auf Kommunikation, beispielswiese bei unserem KI-Leadprojekt, damit der Wandel auch intern spürbar wird.
CH: Die Dynamik ist da: Photovoltaik und Wärmepumpen sind stark nachgefragt, allein im ersten Quartal hatten wir im Bereich der Wärmepumpen ein Rekordergebnis. Unsere Mitarbeitenden treiben diese Entwicklung aktiv mit voran und jeder Einzelne steht für die Transformation der Energiewende; darauf sind wir sehr stolz.
MB: Der Wandel kommt nicht von oben – er wird gemeinsam gestaltet.
CH: Unsere partizipativ entwickelte Strategie hat uns dabei eine starke Grundlage gegeben. So konnten wir auch unser Projektportfolio im Bereich Erneuerbare deutlich ausbauen.
Welche konkreten Projekte setzen Sie aktuell um?
MB: Derzeit laufen rund zehn Wind- und zehn Solarpark-Projekte mit Investitionen von je 1 bis 1,5 Millionen Euro. Wir rechnen mit Planungs- und Genehmigungs-Laufzeiten von zehn bis zwölf Jahren – künftig hoffentlich nur sieben bis acht.
CH: Unser Team für Erneuerbare haben wir fast verdoppelt. Die größte Herausforderung bleibt, geeignete Flächen zu sichern und Genehmigungen zu erhalten. Unsere Projektpipeline liegt aktuell bei rund 730 Megawatt, weitere 400 sind in Planung – wobei wir realistisch mit etwa 30 Prozent nicht realisierbarer Projekte rechnen müssen.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Kommunen im Bezug auf die regionale Energieversorgung?
CH: Partnerschaften mit Kommunen behandeln wir mit höchster Priorität. Die evm genießt großes Vertrauen in der Region und bringt die nötige Kompetenz mit.
MB: Kommunen schätzen unsere Verlässlichkeit, Stabilität und Nähe zur Region.
Wo steht die EVM im Jahr 2035?
MB: Der Gasabsatz wird deutlich zurückgegangen sein, Wärmepumpen gewinnen an Bedeutung. Der Stromnetzausbau bleibt entscheidend, vor allem in ländlichen Gebieten setzen wir auf dezentrale Lösungen.
CH: Parallel prüfen wir Projekte mit Erdwärme und Strömungskraft – zum Beispiel im Rauental. Dort denken wir über Wärmenetze mit einer Flusswasser-Wärmepumpe als Energiequelle nach.
Wie gehen Sie mit Risiken neuer Technologien um?
CH: Wir setzen auf ein diversifiziertes Lösungsportfolio – innovativ, aber wirtschaftlich tragfähig. Nicht jede Technologie wird sich durchsetzen, aber Vielfalt schafft Wettbewerb und Stabilität. Wichtig ist, langfristig tragfähige Investitionen zu tätigen und Risiken gezielt zu steuern.
Welche Herausforderungen ergeben sich im ländlichen Raum, zum Beispiel in der Eifel oder im Ahrtal nach der Flut?
MB: Dort begegnen uns teilweise Vorbehalte gegenüber neuen Technologien. In Neubaugebieten setzen wir auf Beratung, Förderprogramme und konkrete Angebote, um moderne Heizsysteme wie Wärmepumpen attraktiv zu machen. Bundesförderungen von bis zu 70 % erleichtern vielen die Entscheidung.
Welche Fördermaßnahmen stehen konkret zur Verfügung?
CH: Es gibt Förderprogramme auf allen Ebenen – bundesseitig liegt die Grundförderung für Wärmepumpen bei rund 30 % und beträgt je nach Konstellation bei bis zu 70 %, ergänzt bisweilen durch regionale Boni. Wir helfen unseren Kunden, passende Programme zu finden und optimal zu nutzen. Besonders gefragt sind Kombilösungen mit PV-Anlage, Speicher und Wärmepumpe zur Eigenversorgung.
Bieten Sie diese Systeme selbst an?
CH: Ja. Wir bieten Planung, Installation und Wartung aus einer Hand – auch inklusive Wallbox für die E-Mobilität. Dafür haben wir einen eigenen Handwerksbetrieb, der kontinuierlich wächst.
MB: Diesen Betrieb, die evm Service GmbH, haben wir vor sechs Jahren gegründet. Sie entstand aufgrund unserer eigenen hohen Nachfrage sowie dem Engpass an Handwerksleistungen. Heute zählen rund 70 Mitarbeitende dazu, mit klarer Spezialisierung auf Wärmepumpen und PV-Anlagen.
CH: Das Modell kommt an: Unsere Kunden schätzen Zuverlässigkeit, schnelle Hilfe und guten Service aus einer Hand – genau dafür stehen wir.
Wie behandeln Sie das Thema „Fachkräftemangel“?
MB: Wir spüren die Auswirkungen – vor allem, weil jüngere Generationen mehr Wert auf Work-Life-Balance legen. Wir reagieren mit flexiblen Arbeitsmodellen, Weiterbildung, moderner Technik und einer Kultur, die auf Vertrauen und Mitgestaltung setzt. Unsere Mitarbeitenden sind das Rückgrat der Energiewende.
CH: In den nächsten fünf Jahren wollen wir rund 150 neue Mitarbeitende gewinnen. Parallel investieren wir in Digitalisierung – etwa KI-Projekte und Robotik im kaufmännischen Bereich –, um Routinetätigkeiten zu automatisieren und Freiräume für qualifizierte Aufgaben zu schaffen.
Finden Sie denn genug qualifizierte Bewerber?
MB: Es wird anspruchsvoller, aber wir bieten Sicherheit, Entwicklungsperspektiven und sinnstiftende Arbeit. Viele kommen über Empfehlungen. Daneben setzen wir auf klassische Kanäle wie Messen, Stellenausschreibungen und Social Media. Unser Vorteil: Wir stehen für eine Branche mit Zukunft – und das überzeugt.
Was bieten Sie den Mitarbeitenden konkret?
MB: Faire Bezahlung, moderne Arbeitsbedingungen, flexible Modelle und eine offene Unternehmenskultur. Wir liegen bewusst über dem Branchenstandard und bieten sinnstiftende Aufgaben in einer wachsenden Branche.
CH: Und wir machen deutlich, wofür wir stehen: Netzausbau, Energiewende, neue Erzeugungstechnologien – wir gestalten aktiv mit. Das macht uns als Arbeitgeber attraktiv.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
CH: Mehr Zuversicht und weniger Pessimismus. Deutschland hat das Potenzial, Herausforderungen mit klugen Lösungen zu meistern – wir sollten diese Gestaltungskraft stärker nutzen.
MB: Ich wünsche mir für Deutschland mehr Fokus auf Bürokratieabbau sowie eine Eindämmung überbordender Regulierung und global mehr gemeinsames Handeln statt auf Konflikte – lokal wie global. Transformation gelingt nur im Miteinander. Wenn wir unseren Wohlstand nachhaltig teilen, profitieren am Ende alle.
Basu und Hesse im Profil
Mithun Basu, 51, ist studierter Diplom-Ingenieur und Betriebswirt. Seit über 25 Jahren ist er in der Energiebranche tätig. Nach seinem Einstieg bei der RWE-Gruppe übernahm er diverse leitende Positionen in der Branche, unter anderem als Geschäftsführer der heutigen Osthessen-Netz (Netztochter der RhönEnergie) in Fulda und als Geschäftsführer der Mainzer Netze. Seit Juli 2023 gehört er dem Vorstand der Energieversorgung Mittelrhein (evm) an. Mithun Basu lebt mit seiner Familie in Mainz und hat einen Zweitwohnsitz in Koblenz.
Christoph Hesse, 40, ist Diplom-Kaufmann und begann seine Karriere in der Unternehmensberatung, unter anderem mit internationalen Projekten in der Automobilindustrie. 2009 wechselte er in die Energiebranche, wo er innerhalb der rhenag-Gruppe und bei der Innovation-Regionalgesellschaft EWV Führungsaufgaben übernahm. Zuletzt war er dort Bereichsleiter Vertrieb und Prokurist. Seit 2024 ist er Vorstand bei der EVM und verantwortet dort den Bereich Markt. Hesse lebt mit seiner Familie in der Region Köln/Leverkusen. Auch er hat einen Zweitwohnsitz in Koblenz.