Der frühere DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger feiert am Freitag seinen 80. Geburtstag. Im Gespräch mit Merkurist blickt er auf bewegte Jahrzehnte im Fußball zurück, spricht über Verantwortung, Kommerz – und seine klare Haltung zur WM-Vergabe an Katar.

Koblenz |

Guten Tag, Herr Zwanziger. Wie bewerten Sie als Mann des Fußballs, der viele Jahre in der Öffentlichkeit gestanden hat, die jüngsten Entwicklungen im Weltfußball?

In den letzten Jahren hat sich der internationale Spitzenfußball stark verändert. Der Einfluss wirtschaftlicher Interessen ist immer größer geworden, gerade durch Entscheidungen der FIFA, die dem eigentlichen Sportgeist widersprechen. Deshalb sehe ich die Entwicklung sehr skeptisch. Kommerz gehört zum Fußball, aber er sollte dem Sport dienen. Was die FIFA macht, geht darüber hinaus. Die Aufblähung von Turnieren, Vergaben in Länder ohne Jugendfußball – das widerspricht dem Geist des Sports. Es geht zu viel ums Geld, zu wenig um Werte. Die Spieler werden überlastet, die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Das ist nicht mein Fußball.

Ist der Fußball ein Spiegelbild unserer Gesellschaft?

Ja. Aber der Fußball darf sich nicht überhöhen. Er ist keine Politik, keine Kirche, aber eine gesellschaftliche Kraft. Mit Begeisterung, Vorbildern und Fairplay kann er Orientierung geben. Denken Sie an Fritz Walter im Gegensatz zu Maradona. Vorbilder können Zeichen setzen für Anstand und Haltung. Ich erinnere mich noch gut, wie ich Fritz Walter einmal bei einem Jugendturnier erlebt habe: bescheiden, zugewandt, ein echter Sportsmann. Maradona dagegen hat mit seinem Handspiel ein Zeichen gesetzt, das in Erinnerung bleibt – aber nicht als Vorbild.

Die Vergabe der WM 2022 an Katar haben Sie scharf kritisiert. Warum?

Weil sie nicht auf sportlichen Grundlagen beruhte. Katar hat keine gewachsenen Strukturen im Fußball, keinen Jugend- und keinen Frauenfußball. Die Vergabe war aus meiner Sicht nur mit sachfremden Geldmitteln möglich. Ich sprach deshalb von einem "Krebsgeschwür" des Weltfußballs. Die Entscheidung hat dem Sport geschadet.

Sie haben Katar als Gastgeberland deutlich kritisiert. Gleichzeitig wurde bekannt, dass eine Spende aus Katar an die von Ihnen mitgegründete Stiftung ging. Was folgte daraus?

Ich war zum Zeitpunkt der Spende kein Vorsitzender mehr, aber ich habe die Stiftung mit meiner Frau aufgebaut. Als dann Geld aus Katar floss, war für mich klar: Ich möchte meinen Namen damit nicht verbunden sehen. Deshalb habe ich alle Ehrenämter niedergelegt. Die Spende wurde für soziale Projekte verwendet, das respektiere ich. Aber meine Haltung war eine andere.

Sie haben auch Ihre Bundesverdienstkreuze zurückgegeben. Warum?

Das ist ein Unterschied zu den Ehrenämtern. Ich habe mich von staatlichen Stellen in Hessen, vor allem im Steuerverfahren, ungerecht behandelt gefühlt. Gleichzeitig kommt derselbe Staat und zeichnet mich aus. Das passte für mich nicht zusammen. Ich habe Konsequenzen gezogen, nicht aus Groll, sondern aus Haltung. Heute bin ich mit der Justiz im Reinen.

Nach den Diskussionen um Katar gerieten Sie selbst ins Visier der Justiz. Ihr Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung wurde nach fast zehn Jahren eingestellt. Wie bewerten Sie das?

Es war die einzige Möglichkeit, das Verfahren rechtssicher zu beenden. Ein Freispruch war wegen des DFB-Verfahrens nicht absehbar. Die Zahlung ging an eine gemeinnützige Organisation. Die Summe war gering. Ich bin mit erhobenem Haupt aus dem Gericht gegangen. Das Verfahren gegen mich wurde im April 2025 – nach fast zehn Jahren – gegen eine Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro eingestellt.

Das Verfahren gegen den DFB läuft weiter. Warum?

Es geht dort um Buchungen beim DFB, nicht um die bekannte Zahlung selbst. Die Staatsanwaltschaft will offenbar eine Entscheidung über die Gemeinnützigkeit erzwingen. Ich halte das für fragwürdig. Die Verfahren gegen uns Personen wurden eingestellt, aber der DFB bleibt im Fokus.

Wenn Sie auf das "Sommermärchen 2006“ zurückblicken: Überwiegen Licht oder Schatten?

Ganz klar: das Licht. Diese Zeit war einmalig. Ich war 20 Jahre lang im DFB-Vorstand, habe viel bewegt und erlebt. Das Sommermärchen bleibt trotz aller Vorwürfe ein großer Moment. Die Verdächtigungen haben mich belastet, aber sie überwiegen nicht. Ich bin stolz auf diese Phase meines Lebens.

Sie haben sich stark für den Frauen- und Mädchenfußball eingesetzt. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung?

Sie stagniert. Es fehlt an Infrastruktur, an konsequenter Unterstützung, an Vorbildern. Die Frauen-Bundesliga braucht mehr Schub, auch im Vergleich zu Spanien oder England. Der DFB und die Landesverbände müssen mehr tun. Mädchen steigen schneller aus, wenn es nicht passt. Deshalb ist gezielte Förderung so wichtig.

Was wünschen Sie sich für den Fußball insgesamt?

Dass er seine Seele nicht verliert. Er soll ein Spiel bleiben, das begeistert und verbindet. Der Kommerz darf nicht alles überlagern. Wir brauchen ehrenamtliche Trainer, starke Nationalteams – aber vor allem eine Rückbesinnung auf die Basis. Dort liegt die Kraft des Fußballs.

Nach all den Jahren im Rampenlicht: Was macht der Privatmann Theo Zwanziger heute?

Ich genieße das Lesen, verbringe viel Zeit mit meiner Familie und engagiere mich in meiner Heimatgemeinde. Ich bin Vorsitzender der Generalversammlung eines Gymnasiums, setze mich für Bildung ein. Und natürlich bleibt der Fußball ein Teil meines Lebens. Ich verfolge die Ligen, gehe auch mal zu einem Frauenfußballspiel. Und ich werde nicht müde, jungen Menschen zu sagen: Passt auf eure Demokratie auf. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ihre größten Feinde – und der Fußball kann helfen, sie zu bekämpfen. Ich wünsche mir, dass jedes Kind, das auf dem Bolzplatz steht, die gleichen Chancen bekommt – unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Dass der Fußball ein Ort bleibt, an dem man gemeinsam wachsen kann. Wenn ich das weiter beobachten darf, bin ich sehr zufrieden.