In der neuen Rubrik werden Personen aus der Region zu aktuellen, überregionalen, gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Themen befragt..

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In der ersten Ausgabe der neuen Rubrik spricht aktuell4u mit dem grünen Jungpolitiker Julian Joswig aus Boppard über die neuen Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, deren Vorgänger und jetzige Bundesminister Annalena Baerbock und Robert Habeck, sowie über die mögliche Einführung einer Impfpflicht, worüber vergangene Woche erstmalig im Bundestag debattiert wurde.

aktuell4u: Auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am vergangenen Wochenende wurden Ricarda Lang und Omid Nouripour zu den neuen Vorsitzenden Ihrer Partei gewählt. Wie bewerten Sie diese Wahl und was sind Ihre Erwartungen an das neue Führungsduo?

Julian Joswig: Unsere neuen Vorsitzenden bringen jeweils wichtige fachpolitische Schwerpunkte mit ein: Ricarda Lang hat als engagierte Sozialpolitikerin gerade in der Coronazeit stets auf die schwierige Lage der Pflegekräfte und die Situation junger Menschen hingewiesen, Omid Nouripour ist ein versierter Außenpolitiker, der auch über die Parteigrenzen hinweg und international gut vernetzt ist. Solche Perspektiven und Erfahrungen sind wichtig, um auch nach außen zu zeigen, dass wir weitaus mehr als eine Ökopartei sind.

Zum einen wünsche ich mir, dass die beiden den von Annalena Baerbock und Robert Habeck initiierten Kurs als Bündnispartei halten und die Breite der Gesellschaft ansprechen. Außerdem wird auf sie die wichtige Aufgabe zukommen, als Bindeglied zwischen der Bundesregierung und einer Parteibasis mit hohen Erwartungen zu fungieren – ich bin überzeugt, dass sie dabei einen guten Job machen werden.

aktuell4u: Sie durften auf dem Parteitag auch ein paar Sätze zu den scheidenden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck verlieren. Wie fällt Ihr Fazit zu deren Amtszeit aus?

Julian Joswig: Mir war es wichtig, mich in meiner Rede auf dem Parteitag auch bei Annalena Baerbock und Robert Habeck für ihren Einsatz als Bundesvorsitzende zu bedanken. Nicht zuletzt waren die beiden mit ihrem umgänglichen und authentischen Politikstil für mich auch ein Grund, überhaupt Mitglied einer Partei zu werden. Sie haben es geschafft, die Mitgliederzahl von 65.000 (in 2017) auf 120.000 (August 2021) zu steigern und damit fast zu verdoppeln. Eine starke Basis ist eine enorm wichtige Grundlage für politischen Erfolg.

Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf sind natürlich Fehler passiert und das Ergebnis war für mich persönlich mit dem knapp gescheiterten Einzug auch enttäuschend. Nichtsdestotrotz ist es ein großer Erfolg, dass wir nach 16 Jahren in der Opposition wieder Teil der Bundesregierung sind und wichtige Ministerien besetzen. In Summe fällt mein Fazit daher positiv aus und ich freue mich, dass die beiden nun wichtige Ämter in der neuen Regierung übernommen haben und damit eine neue Ära der Bundespolitik prägen.

aktuell4u: Vergangene Woche wurde im Bundestag erstmals über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht debattiert. Dazu gab es drei Vorschläge: Abgeordnete der drei Regierungsparteien schlugen eine Impfpflicht ab 18 Jahren vor. Abgeordnete von Grünen und FDP schlugen eine verpflichtende Aufklärung zur Impfung ab 18 Jahren und eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren vor. Abgeordnete der FDP um Wolfgang Kubicki lehnen eine Impfpflicht grundsätzlich ab. Welcher der drei Vorschläge wird von Ihnen unterstützt?

Julian Joswig: Ich habe die Orientierungsdebatte mit großem Interesse verfolgt und finde es wichtig, dass diese sensible Angelegenheit nicht durch strikte Fraktionslinien sondern individuelle Gewissensentscheidungen der Abgeordneten bestimmt wird. Um ehrlich zu sein, bin ich mir noch nicht sicher, welches Modell ich favorisiere. Es gibt gute Gründe für und gegen eine Impfpflicht. Ich habe die Einführung einer sektorbezogenen Impfpflicht im Pflegebereich begrüßt und bin überzeugt, dass der Schutz vulnerabler Menschen hier den entsprechenden Anlass gibt. Eine allgemeine Impfpflicht für alle Bürgerinnen und Bürger ist jedoch ein wesentlich sensibleres Thema mit einem hohen gesellschaftlichen Konfliktpotential.

Die Vorstellung, dass die Umsetzung einer Impfpflicht problemlos abläuft und somit ein schneller Ausweg aus der aktuellen Pandemielage ist, halte ich für naiv. Zugleich müssen wir dieses Mittel bei stagnierenden Impfquoten in Erwägung ziehen, um die Belastung des Gesundheitssystems zu begrenzen und aktuelle Freiheitseinschränkungen reduzieren zu können. Ich finde es aber auch wichtig, die Debatte nicht auf die Impfpflicht zu reduzieren.

Der Aufbau eines nationalen Impfregisters, um zu registrieren, wer geimpft ist und wer nicht, wäre ein sinnvoller erster Schritt, um als Staat proaktiv Impftermine zu vergeben. In Rheinland-Pfalz werden außerdem in Regionen mit wenig Impfungen verstärkt Beratungsangebote gemacht und der neue Proteinimpfstoff, der für einige Nicht-Geimpfte möglicherweise eine Option ist, angeboten – das sind wichtige Schritte, die in der breiten Debatte zu wenig Platz finden. Wir dürfen darüber hinaus nicht vergessen, dass wir diese Pandemie langfristig nur international besiegen und es dafür dringend eine bessere Impfstoffversorgung in den Entwicklungsländern braucht.

Vielen Dank für das Interview. Das Interview wurde geführt von Jan-Niklas Frohs.