Infolge der Ruhrbesetzung ab dem 11. Januar 1923 rief die deutsche Regierung zum passiven Widerstand in allen besetzten Gebieten auf, wozu auch Nieder- und Oberlahnstein gehörten. Das führte zu zahlreichen Ausweisungen.

Infolge der Ruhrbesetzung ab dem 11. Januar 1923 rief die deutsche Regierung zum passiven Widerstand in allen besetzten Gebieten auf, wozu auch Nieder- und Oberlahnstein gehörten. Auch die Bediensteten der Reichsbahngesellschaft traten auf Geheiß in den Streik.

Da die Franzosen mit den Einrichtungen der deutschen Bahnen nicht vertraut waren, versuchten sie die in Ausstand Getretenen durch Versprechungen und hohe Löhne zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen. Fast alle weigerten sich beharrlich, bekamen sie doch von der Regierung ihre Löhne und Gehälter weiterbezahlt.

Bahnbeschäftigte weigerten sich

Da sich die Bahnbeschäftigten weigerten, wurden meist fachfremde Personen in den Dienst der Regiebahn gestellt. Dies führte zu einer Vielzahl von Zusammenstößen und anderen Unfällen. So stießen zum Beispiel auf Lahnsteiner Gebiet am 17. Februar 1923 zwei Güterzüge zusammen. Zu einem weiteren Zusammenstoß kam es am 16. März bei Friedrichssegen. Auch Sabotageakte erschwerten den Regiebetrieb. Stellwerks, Signal- und Sicherheitsanlagen der Eisenbahn wurden zerstört oder Lokomotivteile im Rhein versenkt, sodass die Franzosen keine Möglichkeit hatten, den Fahrbetrieb ordnungsgemäß aufrecht zu erhalten. Damals war der Leitspruch in aller Munde „Alle Räder stehen still, wenn der deutsche Mann es will.“

Als der Bahnhof Niederlahnstein am 23. März 1923 besetzt wurde, fielen Schüsse, durch die ein Oberschaffner an der Hand verletzt wurde. Am Bahnhof Oberlahnstein, dem bedeutendsten Güterumschlagsplatz am Mittelrhein, wurden im April 1923 Ingenieure und Arbeiter aus Mainz, die Lokomotiven für die Franzosen reparierten, von Einheimischen angegriffen. Die Besatzung reagierte mit nächtlichen Ausgangssperren.

Als Lahnsteiner ihr Zuhause verloren

Wer sich den Franzosen widersetzte, konnte gezwungen werden, das besetzte Gebiet innerhalb von vier Tagen mit seiner Familie zu verlassen. Grundsätzlich wurden Beschäftigte der Reichsbahn, Post, Forstverwaltung, Polizei und Kommune sowie Lehrer ausgewiesen, „wenn ihre Anwesenheit eine Gefahr für die Besatzungstruppen darstellten“.

So musste Lehrer Josef Makosch aus Oberlahnstein das besetzte Gebiet verlassen, weil sich seine Schulklasse einer französischen Patrouille respektlos gegenüber verhalten haben soll.

Zu den prominentesten Ausgewiesenen in Lahnstein gehörten Georg Laveth, SPD-Kreisvorsitzender, sowie Philipp Geis, der Führer der KPD.

Zeitungsverleger Fritz Nohr wurde am 21. Februar 1923 als einer der ersten verhaftet, nach Koblenz zur Interalliierten Rheinlandkommission beordert und ausgewiesen, weil sich sein Blatt bewusst französischen und separatistischen Bestrebungen, die auf eine Loslösung rheinischer Gebiete vom Reich abzielten, entgegengesetzt hatte. Den Betrieb versuchte sein Bruder Jean Nohr aufrecht zu erhalten, doch wurde seine „Rheinisch Nassauische Zeitung“ in den Jahren 1923/24 an insgesamt 127 Tagen verboten. An den Tagen, an denen sie erscheinen durfte, zeigten leere Stellen, wo einzelne Berichte durch die französische Kreisbehörde gestrichen worden waren.

Die Mehrheit der Ausgewiesenen waren Reichsbahner, die in den großen Bahnhöfen Oberlahnstein und Niederlahnstein gearbeitet hatten und im Rahmen des passiven Widerstands den Betrieb unterbrachen. Der Lokomotivführer Wilhelm Kröll (Jahrgang 1872) aus Oberlahnstein hatte in seinem Tagebuch festgehalten, dass er im Juli 1923 mit seiner Frau mit der Bahn über Kassel nach Naumburg an der Saale ausgewiesen wurde, wo er ein Jahr mit seiner Familie wohnte. Wie alle Ausgewiesenen wurde die Familie dort gut aufgenommen und durfte ein normales Leben führen.

An jenen Tagen, an denen die Zeitung erscheinen durfte, wurden auch die Namen der Ausgewiesenen veröffentlicht. Insgesamt wurden aus Oberlahnstein laut Abmelderegister 1923 mindestens 29 Familien ausgewiesen, die meisten nach Bodenfelde-Wahmbeck an der Weser (Niedersachsen) und Schwarzburg (Thüringen). Einige Niederlahnsteiner wurden nach Beverungen (NRW, Kreis Höxter) gebracht, wie ein Foto beweist. Kreisweit kann von einem hohen dreistelligen Bereich ausgegangen werden, insgesamt mussten ca. 130.000 Menschen in das unbesetzte Deutschland übersiedeln.

Der lahmgelegte Verkehr, der passive Widerstand – der Ende September 1923 abgebrochen wurde – und die abgeriegelte Grenze zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet zeigten wirtschaftlich katastrophale Folgen, die in hoher Arbeitslosigkeit und der Hyperinflation mit Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 gipfelten. Die Ausgewiesenen durften erst im Sommer 1924 zurückkehren, die letzten Anfang Oktober 1924.