Mehr Arbeit, spätere Rente und weniger Teilzeit. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz hat ihre Empfehlung zur kurzfristigen Beseitigung des Lehrermangels bekanntgegeben. Ein Todesstoß für die Attraktivität des Lehrerberufs, wie Nicolas Cordes sagt, Realschullehrer und Vorstandsmitglied des „Verband Deutscher Realschullehrer Jugend“.

Mehr Arbeit, spätere Rente und weniger Teilzeit. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz hat ihre Empfehlung zur kurzfristigen Beseitigung des Lehrermangels bekanntgegeben. Ein Todesstoß für die Attraktivität des Lehrerberufs, wie Nicolas Cordes sagt, Realschullehrer und Vorstandsmitglied des „Verband Deutscher Realschullehrer Jugend“.

Es fehlt an Lehrern in Deutschland. Nach Angaben des Kultusministeriums sind mehr als 12.000 Stellen unbesetzt, andere Berechnungen sprechen von mehr als dreimal so vielen. Und die Prognosen sehen nicht besser aus: Bildungsforscher Klaus Klemm geht bis zum Jahr 2035 von 158.000 fehlenden Lehrkräften an deutschen Schulen aus. Um diesem Problem entgegenzuwirken, hat die SWK nun sechs Maßnahmen vorgeschlagen. Dazu gehören: Lehrer aus dem Ruhestand zurückholen, mehr Unterrichtsstunden verteilen und weniger Teilzeit ermöglichen. Dem Lehrermangel soll entgegengewirkt werden, indem man den Beruf unattraktiver macht? Das Unverständnis bei Lehrerverbänden und Lehrkräften scheint nachvollziehbar, blickt man auf die jetzt schon zahlreichen Berichte von Überlastung, Stress und Burn-Out. „Rein statistisch und wissenschaftlich betrachtet scheint es so, als würden die Empfehlungen Sinn ergeben. In der Realität führen solche Maßnahmen jedoch zu dem Ergebnis, dass der Attraktivität des Lehrberufes der Todesstoß versetzt wird. Die Maßnahmen gleichen eher einer Abschreckungsliste statt einer Motivation den Lehrberuf ausüben zu wollen.“, so Nicolas Cordes.

Teilzeit hat gute Gründe

Laut dem Statistischen Bundesamt liegt die Teilzeitquote der Lehrkräfte im Schuljahr 2020/21 bei rund 40 Prozent und: laut einer Umfrage für das Deutsche Schulbarometer, wollen 13 Prozent der Lehrer ihre Arbeitszeit weiter reduzieren. Das hat allerdings gute Gründe, wie Nicolas Cordes gegenüber aktuell4u sagt: „Unsere Lehrkräfte entscheiden sich bewusst und aus nachvollziehbaren Gründen für eine Teilzeitmöglichkeit. Gesundheitliche Gründe zwingen den ein oder anderen sein Deputat zu verringern, denn die Herausforderungen an eine Lehrkraft im Jahr 2023 sind zunehmend fordernder.“ Und nicht nur die Belastung der Lehrkräfte spiele ein Thema. Über 60 Prozent der Beschäftigten im Lehrerberuf seien Frauen, weshalb die eigenen Sprösslinge oft der Grund für die Reduzierung der Arbeitszeit sind, wie Cordes weiter betont.

Gesundheitsförderung trotz Mehrbelastung?

Der Lehrermangel ist kein kurzfristiges Problem und auch wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen die aktuellen Symptome bekämpfen würden, bleibt fraglich, ob sie die Krankheit dahinter heilen können. Neueinsteiger könnten durch die Empfehlungen der SWK abgeschreckt werden befürchtet Cordes. Die Probleme würden damit nur nach hinten verschoben, möglicherweise sogar verschlimmert werden. Nicht jede Empfehlung der Kommission wird grundsätzlich schlecht empfangen. Viele Befürworter findet die Ausweitung der Selbstlernphasen, insbesondere für Oberstufenschüler. Ein Aspekt, der beispielsweise im südkoreanischen Bildungssystem eine große Rolle spielt, welches sich immer wieder mit Top-Plätzen im globalen Bildungsvergleich auszeichnen kann. Zum Leid der Lehrkräfte werden die guten Forderungen ummantelt mit für sie unverständlichen Maßnahmen wie der Vergrößerung von Klassen. Viele der Maßnahmen haben eine Mehrbelastung der Lehrer als Auswirkung, wobei gleichzeitig die Forderung besteht, die Gesundheit der Angestellten zu verbessern. Kann diese Mehrbelastung mit Gesundheitsförderung einhergehen? Nein, sagt Nicolas Cordes: „Eine langfristige Gesundheitsförderung der Lehrkräfte ist nicht mit erhöhten Anforderungen vereinbar, da wir bereits die Belastungsgrenzen überschritten haben.“ Das grundsätzlich gute Ziel einer verbesserten Gesundheit von Lehrkräften wirkt im Kontext der Forderungen nach mehr Einsatz, als ginge es nur darum, den kompletten Zusammenbruch des bröckeligen Systems Schulbildung so lange wie möglich hinauszuzögern.

Was tun gegen den Lehrermangel?

Und was hilft nun wirklich gegen den Lehrermangel? Der Lehrerberuf müsse an Attraktivität gewinnen und eigentlich sollte man dafür die Empfehlungen der SWK einmal umdrehen, sagt Nicolas Cordes. Er sieht den Erfolg in der Langfristigkeit und würde vor allem in der Ausbildung von Lehrern ansetzen: „Um dem Lehrermangel langfristig entgegenzuwirken, muss schon in der ersten Phase der Lehrerausbildung (Universität) angesetzt werden. Der Fokus sollte schon hier auf einer praxisnäheren Ausbildung liegen, zum Beispiel eines Praxistages begleitend zum Studium, in der die zukünftigen Lehrkräfte bereits frühzeitig Erfahrungen im Unterricht sammeln und reflektieren können.“ Das würde auch den Maßnahmen der SWK entgegenkommen, die Studierende, insbesondere Masterstudenten, mehr in den Lehreralltag integrieren sollen, indem diese beispielsweise Klausuren korrigieren oder erste Unterrichtsstunden übernehmen. Dies könnte zu einer Entlastung der Lehrer führen und würde gleichzeitig die praxisnahe Ausbildung ermöglichen, die aktuell fehlt.