Benni Over ist auf intensive Pflege angewiesen. Der 30-Jährige sitzt im Rollstuhl, wird beatmet und kann nur seine Finger bewegen. Aus seiner Sicht sollte die Häusliche Pflege mit derjenigen in Pflegeeinrichtungen gleichgesetzt werden.

Hatzenport |

Benni Over aus dem rheinland-pfälzischen Niederbreitbach hat die Muskelschwunderkrankung Muskeldystrophie Duchenne. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie pflegen ihn seine Eltern zu Hause. Oft fühlte sich die Familie dabei völlig allein gelassen. Gründe nennt Benni Over im Kurzinterview mit dem Deutschen Caritasverband. 

Was hat sich mit der Corona-Pandemie für deinen Alltag verändert? 

Mit der Pandemie hat sich mein und der Alltag meiner Eltern komplett auf den Kopf gestellt. Weil ich als Hoch-Risikopatient gelte und eine Infektion mit dem Virus für mich wahrscheinlich tödlich verlaufen würde, hatten wir uns gleich zu Beginn der Pandemie Ende Februar 2020 in eine selbstauferlegte Quarantäne begeben. Seitdem haben wir auf alle bisherigen Hilfen von außen verzichtet: die ambulanten Dienste, die Therapeuten und auch den Beatmungs-Intensivpflegedienst, der bis vor Corona noch bis zu zehn Stunden täglich im Haus war. 

Meine Eltern haben dann jegliche Pflege für mich übernommen und sind dafür quasi bestraft worden. Denn die häusliche Pflege wurde bei allen Corona bedingten Verordnungen, unter anderem bei der Masken- oder Schnelltestverordnung, überhaupt nicht berücksichtigt. Schon seit langem hat sich im deutschen Gesundheitssystem eine Ungleichbehandlung von Häuslicher und Stationärer Pflege eingeschlichen. Es ist ein bestrafendes System, wenn zum Beispiel Eltern ihre Angehörige betreuen und pflegen, denen aber nicht die gleichen Rechte wie Betroffenen in einer stationären Betreuung zuerkannt werden. 

Ganz gravierend und bitter hat sich dieser Missstand für uns beim Versuch um eine priorisierte Impfung herausgestellt. Weil ich eben nicht in einem Heim, sondern zu Hause betreut und gepflegt werde, wäre ich nach Empfehlung der Ständigen Impfkommission erst in Gruppe drei, zusammen mit den über 60-Jährigen, an der Reihe gewesen. Mich und meine Eltern hat das alles fassungslos und nur noch wütender gemacht. 

Du hast dann aber früher die Impfung bekommen?

Ja, aber erst, als wir zum Jahreswechsel Medien und zweimal rund 2000 Land- und Bundestagsabgeordnete auf diesen Missstand aufmerksam gemacht hatten, zudem bei mir ein Notfall wegen meiner Luftröhre eintrat, hat schlussendlich Ministerpräsidentin Malu Dreyer eine Einzelfallentscheidung getroffen und damit einen Präzedenzfall geschaffen. 

Dieser Kampf hat uns viel Kraft gekostet, welche wir eigentlich gar nicht mehr hatten. "Warum fällt die Häusliche Pflege immer wieder neu durchs Raster?", fragen wir uns. Dieser Missstand muss meiner Meinung nach dringend aufgearbeitet und abgestellt werden.

Wie normal ist dein Alltag nach der erfolgten Impfung?

Seit der Impfung und dem Nachweis von Antikörpern konnten wir seit Mitte Februar endlich wieder meine Therapeuten und die ambulanten Hilfen ins Haus lassen. Die Therapien sind für mich überlebenswichtig. Denn ein Medikament für meine Grunderkrankung Muskeldystrophie Duchenne gibt es nicht. Auch meine Eltern fühlen sich ein wenig entlastet, wenngleich wir weiterhin auf den Beatmungs-Intensivpflegedienst verzichten müssen, weil dieser sich zwischenzeitlich aufgelöst hat und es sehr schwierig ist, einen neuen zu finden. Von Normalität kann also noch keine Rede sein. Übrigens gibt es keinerlei finanzielle Anerkennung für meine Eltern, obwohl die Kassen seit über einem Jahr die kompletten Kosten für den Pflegedienst gespart haben. 
Jetzt aber möchten wir nach vorne schauen und nicht wieder neu kämpfen müssen. Wir freuen uns auf den Sommer, um nach langer Zeit endlich wieder Freunde und Bekannte auf unserer Terrasse treffen zu können - mit Abstand und Maske versteht sich. Außerdem möchte ich mich mit ganzer Kraft endlich wieder für mein Projekt, den Orang-Utan-, Regenwald- und Klimaschutz, einsetzen. Denn aus meiner Sicht ist die Klimakrise die weitaus größere Herausforderung, welcher die Menschen ausgesetzt sind.

Was bedeutet gute Pflege für dich?

Für mich bedeutet gute Pflege, dass ich frei von institutionalisierten Zwängen bin, Wahlmöglichkeiten habe, nicht von Fachlichkeiten bevormundet werde - und frei entscheiden kann, das eigene Leben zu gestalten. Ein banales Beispiel: Ich möchte selbst entscheiden, wann ich zu Bett gehe, so wie es für Nicht-Pflegebedürftige ganz normal ist. An aller erster Stelle aber steht für mich, dass ich selbst darüber entscheiden kann, wo ich leben und gepflegt werden möchte: zu Hause oder in einer Einrichtung. Die Diskussionen aber um das sogenannte Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz haben mir einmal mehr gezeigt, wie sehr der Slogan "Ambulant vor Stationär" abgedroschen und abgewirtschaftet ist. 

Dieses Gesetz könnte auch für mich fatale Folge haben, denn seit über vier Jahren bin ich auf eine dauerhafte Beatmung und damit auf eine 24-Stunden-Beatmungs-Intensivpflege angewiesen. Diese wird bis heute von meinen Eltern geleistet. Würden meine Eltern ausfallen, müsste ich einen externen ambulanten 24-Stunden-Beatmungs-Intensivpflegedienst in Anspruch nehmen. 

Was würde das für dich bedeuten?

In diesem Fall würde der Medizinischen Dienst der Krankenkassen im Rahmen einer persönlichen Begutachtung am Leistungsort, also zu Hause, prüfen, ob die medizinische und pflegerische Versorgung sichergestellt werden kann. Ich wäre also der Willkürentscheidung von Sachbearbeitern ausgesetzt, die darüber befinden würden, ob ich weiterhin zu Hause leben darf oder schlimmstenfalls und gegen meinen Willen in eine Einrichtung, in ein Heim abgeschoben würde. 
Da denke ich mir: Wie menschenunwürdig ist das? Darf ein demokratisch basiertes System so mit Menschen umgehen? Ich hoffe und bete dafür, dass meine Eltern noch lange Zeit fit bleiben, damit nicht die Situation und die Notwendigkeit einer 24-Stunden-Ambulanzversorgung eintritt. 
Ich finde es gut, dass die Qualität von Intensivpflege zu Hause und auch in Einrichtungen überprüft wird. Entschieden bin ich aber dagegen, dass andere Menschen, legitimiert durch ein Gesundheitssystem, darüber entscheiden können, wo ich leben muss. Ein solches Gesundheitssystem finde ich nicht gesundheitsfördernd, sondern krankmachend. 

Was wünscht du dir für gute Pflege in der Zukunft?

Ich wünsche mir, dass Teilhabe und Inklusion nicht nur Worthülsen bleiben, sondern auch umgesetzt werden. Zudem wünsche ich mir, dass die häusliche Pflege nicht um ihre Anerkennung kämpfen muss, sondern per Gesetz und Verordnung der stationären Pflege gleichgestellt wird.