a4u: Kannst Du kurz beschreiben, was Eure Einrichtung macht und welche Ziele sie verfolgt?
V. Cornet: Gerne! Wir sind ein gemeinnütziger Verein und als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Unsere Aufgabengebiete sind:
- Offene, mobile und aufsuchende Jugendarbeit mit dem Rockmobil
- Jugendarbeit- und Jugendkulturarbeit in der Region Koblenz
- Interkulturelle Musikprojekte, Demokratieprojekte, integrative Arbeit mit Musik
- Female* Coaching/Recording und Songwriting Projekt
- Bunkerproberäume in Neuendorf und Pfaffendorf
- PA- und Lichtverleih für Jugendkultur-Veranstaltungen und Mitglieder
- Konzerte, Festivals, Bühnenprogramme im Non-Profit-Bereich
- Lobby- und Netzwerkarbeit im Bereich Jugendkultur und Veranstaltungen
- Vermittlung, Beratung, Coaching in der Musikwirtschaft
a4u: Wie bist Du persönlich zur Musik gekommen und was hat Dich motiviert, bei Music Live in Koblenz tätig zu werden?
V. Cornet: Ich war selbständig als Musiker tätig und hatte nach meinem abgeschlossenen Studium noch mein Anerkennungsjahr als Sozialpädagoge zu absolvieren. Da die Diplomarbeit das „Thema Rockmusik in der Jugendarbeit“ hatte und ich Jahre zuvor beim Rockmobil Koblenz hospitierte, lag der Kontakt nahe. Nach dem Anerkennungsjahr blieb ich auf Honorarbasis beim Verein tätig, bis ich irgendwann die Nachfolge der Geschäftsführung übernahm und beim Verein angestellt wurde.
a4u: Welche spezifischen Programme bietet Ihr jungen Musikern an und wie unterscheiden sich diese von anderen Musikschulen oder Akademien?
V. Cornet: Die Angebote sind allesamt kostenlos und gehen meist über mehrere Jahre, da wir die Jugendlichen in ihrer Entwicklung begleiten und fördern. Sie sind bedarfsorientiert und richten sich nach dem individuellen Stand und den Umständen im Stadtteil, der familiären oder der persönlichen Situation und nicht zuletzt ihren eigenen Wünschen.
Wir unterscheiden uns vor allem in einem Punkt von Musikschulen und Bildungseinrichtungen, die allesamt hochwertige und wichtige Arbeit leisten: Die Rockmobil Bandprojekte, und auch die Integrationsprojekte sind vordergründig Musikprojekte, verhandeln aber im Hintergrund über das gemeinsame Thema Musik gesellschaftliche und soziale Inhalte und Schlüsselqualifikationen wie Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz, langfristiges Verfolgen von Zielen, Aushandeln von Kompromissen, Umgang mit persönlichen Stärken/Schwächen, gemeinsame Erfolgserlebnisse zu erarbeiten und zu erleben.
a4u: Welche Herausforderungen sind Dir bei der Arbeit mit Nachwuchsmusikern begegnet?
V. Cornet: Grundsätzlich ist es schon so, dass die individuelle Situation in den Familien und im Stadtteil schwierig für die gemeinsame Arbeit und Entwicklung sein kann. Aber dafür machen wir das ja, im Auftrag der Stadt Koblenz und des Landes RLP, von denen wir gefördert werden. Als heranwachsender Mensch hat man mit vielen inneren, äußeren Konflikten zu kämpfen, muss seinen Platz in der Gruppe, oder überhaupt eine Gruppe finden und mit sich selbst ins Reine kommen. In diesem Zeitraum arbeiten wir mit ihnen auf dem Weg in die Selbständigkeit.
Teilnehmende mit Fluchterfahrung haben traumatische Erlebnisse und verarbeiten diese unterschiedlich, die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede waren vor knapp zehn Jahren durchaus herausfordernd. Wohingegen das Einlassen auf die Musik, Kultur und die Instrumente aus dem arabischen Raum mit dem Vierteltonsystem echtes Neuland darstellte und den eigenen musikalischen Horizont deutlich erweiterten.
a4u: Kannst Du ein paar Erfolgsgeschichten von Teilnehmern erzählen?
V. Cornet: Ich bekomme immer wieder Rückmeldungen, viele Jahrzehnte später, wenn die Teilnehmenden erwachsen sind: Das kam gerade erst am Wochenende bei „Koblenz spielt“ vor, als mich ein junger Mann ansprach und für ein Projekt vor 20 Jahren bedankte. Das musste er ja nicht tun, war ihm aber als Rückmeldung wichtig. Die Teilnehmenden erinnern sich dann oft liebevoll, reflektiert und voller Wertschätzung an Details, Auftritte von den Bandprojekten mit 20 Jahren Abstand, das ist schon toll.
Es gibt gleichzeitig nicht wenige Jugendliche, die beim Rockmobil angefangen haben und nun in großen Bands, Tourneen, Musical-Produktionen oder im peripheren Business/Management erfolgreich sind. Auch die schätzen den Kontakt zu uns. Da haben wir vielleicht einen kleinen Beitrag geleistet, Perspektiven zu öffnen, wenngleich die meisten talentiert und clever genug waren, auch ohne uns diesen Weg zu bestreiten.
a4u: Was betrachtest Du als größten Erfolg oder stolzesten Moment in Deiner Tätigkeit?
V. Cornet: Alleine, dass es diesen Verein seit 40 Jahren gibt und er so fest in der Region verankert ist, ist eine Riesengeschichte. Es gibt viele Kulturvereine, die nicht diese Reichweite und auch Personalstruktur aufweisen können. Das ist politisch immens wichtig, um für die Zukunft weiter planen zu können und diese Arbeit tun zu können.
Und, da wir hier ein Medien-Interview führen: Die interkulturelle Band Tonspuren entstand, als ich beim Aufbau eines Flüchtlingstreffs mitgewirkt habe. Daraus entwickelten wir mit meinem Kollegen Sebastian Wittig ein wöchentliches Musikprojekt, das eine CD-Produktion, ca. 50 Konzerte, einen Empfang und Konzert in der Staatskanzlei bei Malu Dreyer, Mitwirkung bei der Wir-Hymne des Landes RLP und die Ehrennadel für Integration der Stadt Koblenz zur Folge hatte. Wir spielten mit Musiker*innen aus ca. 10 Ländern auf unzähligen Festivals, Konzerten, Empfängen Musik in vielen verschiedenen Sprachen. Das war eine tolle Zeit und erst die gelungene Integration, anschließend Corona, machten der Band den Garaus. Die Musiker’*innen hatten irgendwann einfach keine Zeit mehr, da sie in ganz Deutschland verstreut arbeiteten, studierten, selbständig waren und unser europäisches Stresslevel angenommen hatten.
a4u: Was steht in 2024 auf dem Programm?
V. Cornet: Natürlich wie immer jede Menge Rockmobil- und DJ-Projekte, Jugendveranstaltungen, Ferienfreizeiten und Workshop-Angebote. Die Promenadenkonzerte sind im Mai gestartet. Bis Ende September gibt es jeden Donnerstag und Sonntag kostenlose Konzerte am Rheinufer in der Konzertmuschel Koblenz.
Am kommenden Samstag findet das erste Jugend- und Stadtteilfest in Rübenach statt. Hier geht es im Rahmen unseres 40. Jubiläums darum, zielgruppenspezifische Veranstaltungen anzubieten und einer „nur“ offiziellen Stehparty, bei der man sich selbst feiert, etwas Produktives entgegenzusetzten. So geschehen kürzlich beim Musikflohmarkt in Lützel. Das Thema in Rübenach ist gesellschaftlicher Zusammenhalt: Jugendliche, Familien und Erwachsene sollen gemeinsam bei Live-Musik, Spielangeboten, Essen und Trinken einen schönen Nachmittag verbringen und in Austausch kommen. Hierfür sind die örtlichen Vereine eingebunden, die Schule, der Ortsvorstand und das Jugendamt sind beteiligt. Wir wollen „die Jugend“ aus der Krawallecke holen und positive Beispiele aufzeigen und präsentieren. Der Headliner sind AkaiRamba, ein Hip-Hop Kollektiv aus Koblenz.
Bei Rhein in Flammen/Koblenzer Sommerfest sind wir mit mehreren Kooperationspartner*innen endlich wieder mit einer Bühne vertreten. An allen drei Tagen werden hinter dem Deutschen Eck spezifische Programme angeboten: Freitags die lokale Koblenz Szene, Samstags ein Jugendprogramm und Sonntags interkulturelle Gruppen mit in Koblenz lebenden Menschen verschiedener Nationen.
Im November findet dann die offizielle Feier mit viel Musik und wenig Reden in der Werkstatt Atelier Eva Enders statt. Das ML-Kulturschock Festival findet eine Woche später am Fr. 08. Nov statt. Hier werden in 7 Live Clubs der Koblenzer Altstadt bis zu 25 Bands aus der Region Koblenz mit ausschließlich selbst komponierter Musik präsentiert. Das Kneipenfestival ist mit 5 Euro für alle Clubs seit 15 Jahren ein Klassiker.
a4u: Wie sehen die zukünftigen Pläne für Eure Einrichtung aus?
V. Cornet: Wir sind immer noch dabei, eine feste Heimat in einem Stadtteil zu finden: Unser aktueller Standort an der SB-Tankstelle in der Goldgrube ist zwar gut und zentral gelegen, aber langfristig eher ungewiss. Unser Wunsch wäre ein städtisches Gebäude in einem neuen Quartier, z.B. in Lützel, wo wir unseren Traum und unsere Vorstellungen von Jugend-, Stadtteil-, Netzwerk- und Vereinsarbeit mit offener Musikbühne und Angeboten für eine lebendige, nachhaltige Stadtkultur ausleben und im Sinne der Gemeinschaft einbringen könnten.
a4u: Inwiefern trägt Eure Einrichtung zur lokalen oder vielleicht sogar zur nationalen Musikszene bei?
V. Cornet: Wir sind die Basis, ganz unten bei den Wurzeln des Baums, der die Musikszene bildet. Man sieht es beim DFB und vielen anderen Vereinen: Wenn der Nachwuchs vernachlässigt wird, wird’s 10 Jahre später richtig schwer. Für uns bedeutet das: Es muss weiterhin überhaupt Spielstätten, Live-Clubs, Bühnen, Festivals geben, bei denen eigene Musik, Kunst, Kultur, Szene und auch Schräges stattfinden kann. Kinder müssen Zugang zu Musik, Musikunterricht und zu Instrumenten haben. Dafür arbeiten wir. Event- und Cover-Konzerte wird es immer geben, aber das ist eine wirtschaftliche, gastronomische Seite und eher für Musikprofis ein wichtiges Zubrot.
Gleichzeitig wirken wir dem Trend entgegen, sich von unbekannter Musik völlig zu entwöhnen: Überall hört man live und im Radio nur dieselben Lieder, neu aufbereitet. Deshalb unterstützen wir Bands mit eigener Musik, weil sie andere, eigene Klänge und Musik kreieren, die nicht perfekt inszeniert und produziert sind. Sonst verliert Live-Musik als Kunst- und kulturelle Ausdrucksform immer mehr an Wert. Fürwahr, große Worte, aber das funktioniert lokal tatsächlich ganz gut: Bei den Promenadenkonzerten sind regelmäßig hunderte von Gästen und genießen in lockerem Rahmen bei freiem Eintritt jährlich bis zu 70 relativ unbekannte Acts, Orchester, Duos, Bands, Ensembles.
a4u: Wie arbeitet Ihr mit anderen Musikinstitutionen oder Bildungseinrichtungen in Koblenz zusammen?
V. Cornet: Der Kontakt und Austausch ist da, aber meist über gemeinsame Veranstaltungen oder Bühnenprogramme oder die Vermittlung von Musikerinnen. Netzwerke & Synergien bilden ist oft ein Synonym für „es fehlt an Geld“. In unserem Fall ist das nicht anders, denn wir werden oft angefragt, wenn es darum geht, ein charmantes Programm für ein kleines Fest, eine Anlage, Location, Technik, Kontakte, Lösungen zu vermitteln. Mit großen Mitteln ist es einfach, Kulturarbeit zu leisten. Wir sind oft an der Schnittstelle, wenn es darum geht, dass kleine Events überhaupt stattfinden können. Klingt verdächtig nach arm, aber sexy, ist es auch ein Stückweit. Wir helfen gerne und bekommen gleichzeitig Support von der Stadt und lokalen Institutionen, wenn wir ihn brauchen. Es ist ein Geben und Nehmen und wir übernehmen damit auch Aufgaben für die städtischen Partnerinnen. So lassen sich Mittel effektiv einsetzen und nutzen.
a4u: Gibt es ein Motto oder eine Philosophie, die Dich leitet?
V. Cornet: Es gibt mehr Eitelkeit im Musikbusiness und auch in der Kulturwirtschaft als man glaubt. Wo alle ganz fein miteinander sind, aber nur solange ihr Name größer gedruckt ist als die anderen. Im Grunde wie bei den Rockbands.
Gleichzeitig müssen wir uns alle immer mehr mit einer defizitären Situation auseinandersetzen. Das Geld für Jugend und Kultur ist seit Jahrzehnten knapp und die Rahmenbedingungen werden nicht besser. Es gibt also immer Gründe zu lamentieren, abzusagen oder hinzuwerfen. Ich möchte lieber fürs Zustandekommen zuständig sein, als fürs Scheitern. Und das geht meist über den Kompromiss, indem man sich selbst als Person zurücknimmt und schaut, dass man die beste, oder überhaupt eine Lösung findet. Langfristig erreicht man damit mehr.
Fragen: Burkhard Hau