Criterion Games ist zurück am Steuer von Need for Speed und meldet sich mit dem neuen Ableger Unbound zurück, der auf den ersten Blick vor allem stilistisch überrascht. Aber geht es auch bei den spielerischen Qualitäten endlich wieder bergauf für die Rennspiel-Reihe?

 Name: Need for Speed Unbound
Genre: Rennspiel
Entwickler: Criterion Games
Publisher: Electronic Arts
Plattform: PS5 (getestet), PC, Xbox Series X|S
Veröffentlichung: 02.12.2022 
Preis: zwischen 70 und 90 Euro

Nachdem es unter der Leitung des mittlerweile geschlossenen EA-Studios Ghost Games nicht mehr richtig rund lief für Need for Speed, haben jetzt wieder die Burnout-Macher von Criterion Games das Steuern übernommen und melden sich mit dem neuen Ableger Unbound zurück, der auf den ersten Blick vor allem stilistisch überrascht. Aber geht es auch bei den spielerischen Qualitäten endlich wieder bergauf?

Comic trifft Realismus

Schon bei der Ankündigung stach der ungewöhnliche, ja sogar gewagte Artstyle ins Auge: Während Automodelle und Spielwelt auf einen möglichst hohen Realismus getrimmt sind, werden sämtliche Figuren in einem auffallenden Comic-Stil mit Cel-Shading-Anleihen dargestellt, während die Fahrzeuge bei Manövern wie Sprüngen oder Drifts ebenfalls um farbenfrohe Zeichnungs-Effekte wie Flügel oder Rauchwolken ergänzt werden, die sich sogar anpassen lassen. Die exotische Kombination geht zwar im Großen und Ganzen besser auf als zunächst gedacht, aber es ist trotzdem schade, dass man diesen mitunter auch störenden Effekt-Overkill nicht optional deaktivieren darf, wie es die Entwickler im Vorfeld eigentlich versprochen hatten.

Unterwegs in Lakeshore City

Im Story-Modus wird man mit seinem selbst kreierten Avatar Mitglied einer Schrauber-Crew, die an illegalen Straßenrennen teilnimmt, um sich für ein großes Turnier zu qualifizieren. Als Hauptmotivation dient eine kleine Rachegeschichte, in der man nicht nur den Widersachern eins auswischen, sondern auch ein zuvor gestohlenes Auto zurückgewinnen will. Zwar geben die Comic-Akteure eine bessere Figur ab als die realen Schauspieler aus früheren Teilen, aber die künstlich auf hip und cool getrimmte Inszenierung mit ihren peinlichen Fremdschäm-Dialogen ist zumindest für ältere Semester eine echte Zumutung. Als Schauplatz dient das fiktive Lakeshore City, das aber merkliche Parallelen zur US-Metropole Chicago aufweist, neben urbanen Arealen mit Hochhäusern und Highways aber auch ländliche Gebiete zu bieten hat. Einen dynamischen Tag-/Nachtwechsel gibt es zwar nicht, doch ist jeder Renntag in einen Tag- und Nachtabschnitt unterteilt, zwischen denen nach dem Besuch eines Verstecks automatisch gewechselt wird. Darüber hinaus kann der Sonnenschein hin und wieder Regelwolken weichen. Grafisch wird das nicht das Niveau eines Forza Horizon erreicht, aber abgesehen von den billig wirkenden Passanten sieht Unbound ziemlich schick aus und vermittelt ein hervorragendes Geschwindigkeitsgefühl in den Außen- oder Innenperspektiven, wobei es leider wieder keine Cockpitansicht gibt.

Mit Vollgas gegen das Gesetz

Die Gesetzeshüter der Stadt sind selbstverständlich alles andere als begeistert über die vielen Verkehrsrowdies und so liefert man sich neben den Positionskämpfen auch zahlreiche Verfolgungsjagden. Während sich die Cops zunächst noch kinderleicht abschütteln lassen, fahren sie bei höheren Fahndungsstufen zunehmend schwere Geschütze bis hin zu Hubschraubern, Straßensperren und SWAT-Spezialwagen auf, um die rücksichtslosen Raser zu stoppen. Wird man erwischt, werden die Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung mit einem saftigen Strafzettel quittiert.

Harte Arbeit fürs Geld

Das ist vor allem deshalb schmerzhaft, weil man sich das Geld in der Welt von Unbound hart verdienen muss und der Kontostand zum Glück nicht mit der Hilfe von Mikrotransaktionen erhöht werden darf: Die Preisgelder sind zunächst mager, teilweise muss sogar eine Startgebühr entrichtet werden und im Gegensatz zu Rennspielen wie Gran Turismo 7 oder Forza Horizon 5 wird man hier nicht mit Fahrzeugen und Belohnungen überhäuft. Gut so, auch wenn man dadurch einem gewissen Grind ausgeliefert wird, der aber immerhin dafür sorgt, dass man seine Boliden besser kennenlernt und strategischer investiert. Denn am Anfang reicht das Budget nur für eine PS-Schleuder mit Serienausstattung, die mit Tuningteilen langsam aber sicher in eine pfeilschnelle Rennmaschine verwandelt wird. Auf dem mittleren und hohen Schwierigkeitsgrad ist die Aussicht auf schnelle Rennsiege eher klein und man muss sich zunächst mit hinteren Plätzen zufrieden geben. Denn im Gegensatz zu früheren Teilen profitieren hier nur noch die Cops hin und wieder von einem Gummibandeffekt, um sie besser in die Nähe des Fluchtwagens zu befördern. 

In Positionsduellen gegen die KI, in denen man durch risikoreiche Wetten noch einen höheren Gewinn herausschlagen kann, zählt allerdings nur der Leistungsindex, der sich durch Tuningmaßnahmen erhöhen lässt. Mit dem entsprechenden Kleingeld bekommt man alles, was das Schrauberherz begehrt, angefangen bei Motor-Upgrades über Verbesserungen an Fahrwerk und Bremsen bis hin zu flotten Rennreifen. Und auch optisch dürfen die Flitzer mit schicken Felgen, Spoilern und eigenen Lackierungen aufgemotzt werden. Ein wichtiges Utensil ist außerdem der Nitro, sorgt er doch für einen Geschwindigkeitsschub auf Knopfdruck. Neben der normalen Variante, die sich mit der Zeit automatisch regeneriert, gibt es noch eine zweite Möglichkeit, sich mit waghalsigen Fahrmanövern wie Drifts oder dem Rasen im Gegenverkehr eine separate Turboleiste aufzubauen, die sich schneller wieder zünden lässt.   

Grip oder Drift?

Wie gut oder schlecht sich das Fahren anfühlt, liegt neben dem gewählten Wagen und installierten Tuning-Komponenten in erster Linie an der Einstellung, ob man den Schwerpunkt der Fahrphysik eher auf Drift oder Bodenhaftung legen möchte. Persönlich habe ich Letzteres bevorzugt, weil die kurvenreichen Straßen zum Schlittern einladen und sich dadurch gleichzeitig die zusätzliche Turboleiste schneller füllt. Problem: Erst mit den entsprechenden Upgrades bekommt man die Möglichkeit, das Fahrverhalten nach den eigenen Vorlieben anzupassen. Wer dagegen zunächst auf ein Modell setzt, das eigentlich einen guten Kompromiss aus Drift und Grip bieten soll, wird sich tendenziell schwer tun, ein echtes Gefühl für den Wagen zu entwickeln. Zu unberechenbar reagieren die Boliden auf die Lenkeingaben und obwohl die Fahrphysik generell eher auf unkompliziertes Arcade-Vergnügen ausgelegt ist, macht es unter diesen Voraussetzungen nicht besonders viel Spaß, durch Lakeshore zu rasen. Mit Zeit und Tuningmaßnahmen wird es aber besser und wer es möchte, kann per Schieberegler den Abtrieb erhöhen oder sogar eine Traktionskontrolle aktivieren.

Volle Hiphop-Dröhnung

Für die musikalische Untermalung gilt das nicht: Aufgrund der Zusammenarbeit mit dem US-Rapper A$AP Rocky und ähnlichen Künstlern ist der Soundtrack von Unbound voll auf Hiphop ausgelegt – andere Genres bilden nur die Ausnahme. Das ist schön für alle, die mit Songs im Stil von  „In meinem Benz“ von AK x Bonez MC etwas anfangen können, wird aber schnell zur Ohrenqual für all diejenigen, die kein Hiphop mögen. Radiosender im Stil von Forza Horizon mit verschiedenen Genre-Schwerpunkten hätten hier Wunder gewirkt. Immerhin kann man sich zur Not mit den Motorenklängen trösten, die man sogar individuell anpassen darf, um z.B. ein aggressiveres Röhren oder Fehlzündungen zu fördern. 

Doppelte Arbeit für den Mehrspielermodus

Leider haben sich die Entwickler dazu entschlossen, den Mehrspielermodus von der Story nahezu komplett zu entkoppeln. Zwar werden Entdeckungen wie die versteckten Streetart-Kunstwerke,  Bären-Figuren oder freigeschaltete Zusatzherausforderungen wie Radarfallen in die Multiplayer-Spielwelt übernommen, doch muss man sich einen neuen Avatar erschaffen und seinen Fuhrpark wieder komplett neu aufbauen. Kleiner Trost: Für Rennen aller Klassen stehen alternativ auch Leihwagen zur Verfügung.

Insgesamt wirkt der Online-Modus etwas halbherzig gemacht, da lediglich vorgefertigte Spiel-Listen mit Mini-Meisterschaften angeboten werden. Betritt man die Server ohne Freunde, ist das Risiko relativ groß, dass man keine Mitspieler für die Rennen findet, die man gerne fahren würde. Abseits der Rennveranstaltungen gibt es außerdem keine große Interaktion mit anderen Online-Fahrern oder motivierende Bestenlisten. Auch in dieser Hinsicht fährt Forza Horizon in einer komplett anderen Liga. Trotzdem ist Need for Speed Unbound insgesamt wieder einer der besseren Teile, auch wenn es nicht ganz die Begeisterung von Klassikern wie NfS Underground, Burnout Paradise oder der Most Wanted hervorrufen kann.

Weitere Informationen unter: Test: Need for Speed Unbound (PC, PS5, Xbox Series X|S) – Rennspieler

 Worum geht’s?

In Need for Speed Unbound nimmt man in verschiedenen Disziplinen an illegalen Straßenrennen teil, liefert sich Verfolgungsjagden mit Gesetzeshütern und motzt den eigenen Fuhrpark sowohl optisch als auch hinsichtlich Leistung auf. Neben dem Story-Modus, der sich im Kern um eine Rachegeschichte dreht, darf man den fiktiven Schauplatz Lake Shore City auch im separaten Online-Modus erkunden, in dem man sich außerdem Rennen gegen andere Spieler liefern kann.

Need for Speed Unbound ist geeignet für Spieler, die...

• den Arcade-Ansatz in Rennspielen bevorzugen
• viel Spaß am Tuning haben 
• einem gewagten Artstyle offen gegenüberstehen


Need for Speed Unbound ist weniger geeignet für Spieler, die...

• sich keine Verfolgungsjagden mit Cops liefern wollen 
• auf eine Story ohne Cringe-Dialoge hoffen
• eine Aversion gegen Hiphop-Musik haben

Alternativen: Forza Horizon 5, Burnout: Paradise City Remastered, Need for Speed: Most Wanted