Bewahren wir durch die militärische Aufrüstung unsere nationale Sicherheit oder führt dies zu einer außenpolitischen Eskalation?

Es ist die größte Rüstungsinvestition der jüngeren deutschen Geschichte, die Bundeskanzler Olaf Scholz während seiner Regierungserklärung in einer Sondersitzung des Bundestages letzte Woche Sonntag, am 27. Februar, verkündete. 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und eine massive Anhebung des jährlichen Verteidigungsetats. Doch ist eine derart drastische Aufrüstung wirklich die richtige Antwort auf den momentanen Krieg in der Ukraine?

Groß war die Zustimmung nach der Ankündigung von Kanzler Scholz über die Entscheidung der Bundesregierung, der militärischen Aufrüstung. Standing Ovations im Bundestag. Nicht nur von den Koalitionsparteien, sondern auch von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch in den Medien war der Beifall groß. Die BILD-Zeitung etwa titelte: „Super, Scholz!“. Spätestens das sollte zum Zweifeln anregen.

Die promovierte und habilitierte Friedensforscherin Sabine Jaberg der Universtät Hamburg, die zudem Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Sicherheit und Frieden“ ist, äußerte sich in einem Beitrag der ARD-Sendung "Monitor" wie folgt zu der Vorgehensweise der Bundesregierung:

Kurzfristig bringen diese Maßnahmen überhaupt nichts. Langfristig bringen sie uns mehr Konfrontation, mehr Unsicherheit, mehr Gefahr. - Dr. Sabine Jaberg (Universität Hamburg)

Im Detail befürchtet Jaberg das Entstehen einer internationalen Rüstungsspirale, die nicht unter Kontrolle zu halten ist und an deren Ende, mit einer nicht sehr geringen Wahrscheinlichkeit, eine militärische Konfrontation stehen könnte.

Es scheint als würde die Bundesregierung zur alten sicherheitspolitischen Maxime von Helmut Schmidt und Helmut Kohl zurückkehren, die besagt, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man gleichzeitig militärisch so stark sein muss, dass nicht-verhandeln für die Gegenseite keine Option sein kann. Allerdings ist diese Investition in die militärische Aufrüstung keine neue Entwicklung.

Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 stiegen die Verteidigungsausgaben der Bundesregierung von Jahr zu Jahr an. Lagen diese 2015 noch bei 35,9 Milliarden Euro, so wurde 2020 schon über 50 Milliarden Euro in die Bundeswehr investiert. Nach den von Scholz angekündigten Maßnahmen würde dieser Wert sogar auf 66 Milliarden Euro steigen. Das ist deutlich mehr als jedes andere Land in Europa in Verteidigungsausgaben investiert.

Militärausgaben der NATO übertreffen Russland bei weitem

Hinzu kommt die finanzielle Überlegenheit der NATO gegenüber Russland. Das russische Verteidigungsbudget lag 2020, laut dem Friedensforschungsinstitut SIPRI, bei 61,7 Milliarden Dollar. Laut Experten ist dieser Wert zwei oder drei Mal so hoch. Die Verteidigungsbudgets der NATO-Staaten, abgesehen von der USA, addieren sich auf 325 Milliarden Dollar. Mit dem Rüstungsetat der USA kommt die NATO auf ein Budget von über einer Billion Dollar.

Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik Prof. Dr. Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg hält diese Entwicklung für besorgniserregend, wie dieser ebenfalls im Interview in einem Beitrag der ARD-Sendung "Monitor" erläuterte:

Das man sagt: ‚Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland drastisch erhöhen‘, wird dazu führen, dass wir deutlich mehr Geld für Militär ausgeben und das wird wiederum dazu führen, dass Russland das als Bedrohung empfindet. Wir müssen raus aus dieser Eskalationsspirale. - Prof. Dr. Johannes Varwick (Universität Halle-Wittenberg)

Die Rüstungskontrolle wurde zuletzt enorm vernachlässigt

Die Rüstungskontrolle, die im Zentrum der Auseinandersetzungen während des Kalten Krieges stand, wurde in den letzten Jahren vernachlässigt. Zum Ende des Kalten Krieges wurde eine Reihe an Verträgen zur Abrüstung und Friedenssicherung entwickelt, die auch Transparenz und Vertrauen geschaffen haben. Die meisten von diesen Verträgen wurden wieder aufgekündigt. Vor allem von den USA.

So zum Beispiel der KSE-Vertrag, der die Anzahl an schweren Waffen, wie Panzern, Kampfflugzeugen oder Artillerien begrenzte. Durch diesen Vertrag wurden nach dem Ende des Kalten Krieges mehr als 50.000 Waffensysteme zerstört. Nach dem Beitritt mehrerer ehemaliger Warschauer Pakt-Staaten in die NATO, wurde ein Nachfolge-Abkommen unterzeichnet. Dieses wurde von Russland 2004 ratifiziert. Von den NATO-Staaten nie.

Noch dramatischer ist die Situation bei der gefährlichsten Waffenkategorie: den Atomwaffen. Russland hat das größte Arsenal weltweit. Im Zuge des Angriffs auf die Ukraine hat Putin damit gedroht, diese einzusetzen. Jahrzehntelang haben beide Seiten versucht, die Zahl der Atomwaffen einzugrenzen. Heute werden nur noch die großen, strategischen Atomwaffen durch einen Vertrag begrenzt. Viele wichtige Verträge wurden aufgegeben.

Hier dient als Beispiel der INF-Vertrag. 1987 vereinbarten US-Präsident Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, einen großen Teil ihrer atomaren Mittelstreckenraketen abzuschaffen. Dieser Vertrag wurde 2019 von US-Präsident Trump gekündigt, weil Russland dagegen verstoßen haben soll. Seitdem gibt es für atomare Mittelstreckenraketen keine Begrenzungen mehr. Für neue Waffensysteme, wie Hochgeschwindigkeitsraketen, Cyber-Attacken oder Drohnen, wurden noch keine internationalen Regeln geschaffen.

Forschende warnen, dass all diese Umstände die Lage gefährlicher machen als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. Vor allem wenn nun wieder eine Aufrüstung stattfindet. Dies untermauerte auch Prof. Dr. Varwick in dem Beitrag der ARD-Sendung "Monitor".

Es gibt mittelfristig keine Alternative zu Ausgleich und Rüstungskontrolle. Aufrüstung und Abschreckung kann nicht die alleinige Antwort jetzt in dieser Situation sein. - Prof. Dr. Johannes Varwick (Universität Halle-Wittenberg)

Sicher ist: Die von der Bundesregierung beschlossene Aufrüstung der Bundeswehr hilft der Ukraine in der momentanen Situation in keinster Weise weiter. Dafür kommen die Investitionen zu spät. Dafür droht langfristig die Gefahr einer weltweiten Aufrüstungsspirale und der Verlust von Vertrauen und Transparenz. Ein erneuter Ausbruch des Kalten Krieges scheint nicht unwahrscheinlich.

Wichtige Information: Die genannten Daten und Fakten beziehen sich auf einen Beitrag der ARD-Sendung "Monitor".