Wenn Kater Willy mich nicht wie immer zu einer zweiten Meinung überredet hätte, wäre ich wohl weiterhin bei dem Gedanken geblieben, dass Johnny Cash nur was für alte Cowboys ist.

von Friedrich W. Dittmann

Zeitlebens waren Willy, mein Kater, und ich uns einig, dass Johnny Cash langweilig ist. Cowboy Mucke für Cowboys und Landstreicher. So wie Blasmusik für den Lederhosenträger. Das Biopic Walk the Line haben wir uns nur wegen Joaquin Phönix angesehen, den wir seit seiner Rolle als Commodus im Gladiator bewundern.

So blieb es bis Willy mich auf ein Video aus 2002 auf YouTube aufmerksam machte. Genüsslich beobachtete er meine Reaktion, als er meinte: „Schau dir mal Johnny Cash an, Chérie.“ „Der Kater will mich verarschen“, dachte ich, bevor die ersten Gitarrentöne in a-Moll zu hören waren.

Ich kann es nicht anders sagen: Mir stockte der Atem und ich hatte Tränen in den Augen.

Da saß ein von Krankheit und sich anbahnendem Tod gezeichneter alter Mann auf einem thronartigen Stuhl, Bilder seines Lebens zogen in Eiltempo am ihm vorbei und mit gebrochener Stimme sang er eine Art musikalisches Testament. Es geht um Drogenabhängigkeit, Schmerzen, Depressionen und Suizid. Der Song hieß "Hurt".

What have I become, my sweetest friend. Everyone I know goes away in the end. And you could have it all, my empire of dirt. I will let you down. I will make you hurt. (Was ist aus mir geworden? Am Ende ist man immer allein, mit seinem empire of dirt)

Believe or not: Ich habe Hunderte von Musikvideos in meinem Leben gesehen und gehört. Aber dieses Video ist der Hammer und stellt vieles in den Schatten. Kein Wunder, dass es preisgekrönt ist (unter anderem "Music Award").

Hurt wurde 1994 von Trent Reznor, Frontmann der Nine Inch Nails geschrieben. Die Aufnahme darf man im Vergleich vergessen.  Johnny Cash hat den Song 2002 auf seinem Album American IV; The Man Comes Around veröffentlicht. Ursprünglich lehnte Cash den Vorschlag seines Produzenten Rick Rubin ab, weil er die Originalversion der Nine Inch Nails nicht mochte. Er musste überredet werden.

American IV ist das einzige Album von Johnny Cash, das wir besitzen. Da sind noch andere gute Sachen drauf: Beispielsweise die Coverversion vom Depeche Mode Hit Personal Jesus. Cash verstarb im September 2003. Wir haben sein Potenzial lange verkannt.

Bild: Von Heinrich Klaffs - https://www.flickr.com/photos/heiner1947/4399081211/in/faves-24788065@N02/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12514886